Eine Stufe auf dem Weg zum Daheimsein

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Migration ist nicht böse, sondern ist das, was Menschen seit jeher tun: Wegziehen, um ein neues Paradies zu finden.

Der moderne Mensch hat 60.000 Jahre gebraucht, um von Afrika aus die Erde zu besiedeln. Der National Geographic-Reporter und Pulitzer-Preisträger Paul Salopek geht diesen Weg nach. Von der Wiege der Menschheit in Äthiopien bis ans Ende der bewohnten Welt nach Feuerland. 34.000 Kilometer. Ein Jahr ist er bereits unterwegs, sechs Jahre will er noch brauchen. Um die Strecke abzugehen, die Menschen gegangen, geritten, gerudert, gesegelt, gefahren sind, bis sie ein neues Zuhause gefunden haben.

Paul Salopek zeigt, dass Fremdsein zum Menschsein gehört - immer schon - und immer wieder. Migration ist nicht schlecht oder böse. Migration ist keine Krankheit, die zum Wohle der Menschheit ausgerottet gehört, sondern Migration ist das, was Menschen seit Adam und Eva tun: Wegziehen, um ein neues Paradies zu suchen und zu finden.

Wenig Aufnahme-Bereitschaft

Damit sind wir bei Österreich, zwar keine "Insel der Seligen“ mehr, wie Paul VI. vor gut 40 Jahren unser Land apostrophierte, aber dennoch eines der reichsten Länder Europas - und ein Magnet für Menschen auf der Suche nach Arbeit, Sicherheit und Wohlstand. Wobei dieser Magnet gerade bei den von der Wirtschaft Gefragtesten, den Bestausgebildetsten und Top-Arbeitskräften nicht so zieht wie gewünscht. Das mag auch daran liegen, dass Österreich den Fremden ihr Fremdsein zu lange, zu deutlich spüren lässt.

Wirtschaftliche Not und politische Verfolgung sind gegenwärtig wohl die wichtigsten Ursachen für Migration. Zur Migration vom Ursprungsland gehört aber immer auch die Integration am Ankunftsort. Und da zeigt sich, dass der wachsende Wohlstand in Österreich seit 1945 keinesfalls mit einer wachsenden Bereitschaft einhergeht, Migrantinnen und Migranten zu akzeptieren.

Der Migrationsbegriff hat sich verschoben, was in der österreichischen Öffentlichkeit noch wenig angekommen ist: Entsprechend den Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes sind EU-Bürgerinnen und -Bürger, ob aus Bulgarien, Estland oder Portugal, in Österreich nicht mehr Fremde, sondern Europäerinnen und Europäer mit gleichen Rechten und Pflichten.

Soweit das Prinzip. Aber gibt es in der Praxis dieses europäische Bewusstsein, das in Österreich keinen Fremdsein-Unterschied zwischen einem Eisenstädter und einer Krakauerin, einer Deutschen und einem Rumänen macht? Nein, noch nicht. In seinem Märchenstück "Österreich ist schön“ lässt der österreichische Schriftsteller Franzobel einen Lehrer sagen: "Mit der Integrationsrechnung ist es wie mit aner Leberknödelsuppen. In aner Leberknödelsuppen is im Regelfall a Leberknödel aus aner Leber drin. San aber zwa Leberknödln in aner Leberknödlsuppe, ist es mit der Integration schon Essig, müsst man Leberknödelduosuppen sagen. … Darum bin i gegen die Leberknö, äh, gegen die Integration. So ist das. Sollen die anderen auslöffeln, den Dreck.“

Sollen die anderen immer fremd bleiben, heißt das. Im Vereinigten Europa gibt es "die Anderen“, "die Fremden“ aber so nicht mehr. Fremdsein ist immer nur eine Stufe auf der Treppe ins Daheimsein. Diese Stufe zu überwinden, kann sehr anstrengend sein, es kann Menschen geben, die versuchen, diese Stufe unüberwindlich zu machen, es gibt aber immer auch solche, die beim Ankommen helfen. Und die Besiedelungsgeschichte der Menschheit, die Paul Salopek gerade nachgeht, beweist, dass Fremdsein nur ein Übergangsstadium ist bis zum Daheimsein - damals wie heute!

Zu wenig Integration

"Österreich lässt die Fremden ihr Fremdsein zu lange und zu deutlich spüren“, kritisiert Ulrike Lunacek,

Vizepräsidentin der Grünen im Europaparlament und Spitzenkandidatin der österreichischen Grünen bei den Europawahlen 2014.

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