Geschlossene Anstalt

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Absurditäten um die orthodoxe Hochschule Chalki.

Eineinhalb Stunden ist das Fährschiff von Istanbul aus durchs Marmarameer gedampft, ehe es am idyllischen Heybeli anlegt. Zwar ist ein Teil der Insel wegen der ansässigen Marinehochschule Sperrgebiet, aber im Dorf ist die Zeit stehen geblieben. Autos gibt es keine, aber man kann sich um fünf neue Lira per Pferdekutsche den Berg hinaufbringen lassen: Die beiden Gäule kommen ordentlich ins Keuchen, bis sie den Hügel erklommen haben, auf dem das Kloster Agia Triada/Heilige Dreifaltigkeit liegt. Drei Mönche - Metropolit Apostolos und zwei Mitbrüder - halten hier noch die Stellung, denn das Kloster beherbergt eigentlich die Hochschule Chalki (so der griechische Name von Heybeli) des Ökumenischen Patriarchats. Doch obwohl den Orthodoxen im Friedensvertrag von Lausanne 1924 ihr Recht auf eine Hochschule verbrieft wurde, schloss das türkische Militär 1971 die Lehranstalt. Seit damals bemüht sich der Ökumenische Patriarch um die Wiedereröffnung - erfolglos. Sogar US-Präsident Bill Clinton war 1999 deswegen da, zuletzt soll Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel ihren türkischen Kollegen Recep Erdogan bestürmt haben, die Hochschule zuzulassen.

Im September sah es so aus, als ob ein von der EU gefordertes Privatschul-Gesetz die Neueröffnung der Hochschule Chalki möglich machen würde. Doch das Parlament änderte den Entwurf entscheidend ab: So dürfen ausländische Schüler und Studenten in der Türkei weiterhin keine Minderheitenschulen besuchen. Und Hochschulen wurden überhaupt aus dem Gesetz genommen. Metropolit Apostolos vergleicht denn auch die Hoffnung auf eine Wiedereröffnung mit dem biblischen "Glauben voll Hoffnung wider jede Hoffnung".

So präsentiert sich die geschlossene Anstalt als absurdes Zeugnis türkischer "Laizität": Die Hörsäle, wiewohl mit uraltem Mobiliar ausgestattet, sind intakt und in Schuss, in den Schlafsälen die Matratzen überzogen - allein Schüler und Studenten fehlen. Fürs gleichfalls gesperrte angeschlossene Lise (= Gymnasium) amtiert sogar eine vom türkischen Staat bestellte Vizedirektorin. Etwa dreimal pro Woche komme die Dame, erzählt Metropolit Apostolos: Sie befrage das Personal und versuche herauszufinden, welche ausländischen Besucher da waren. Wahrscheinlich hat sie auch ein Auge darauf, dass in allen Hörsälen und Klassenzimmern die Porträts von Kemal Atatürk ordentlich hängen, und dass der Atatürk-"Altar" im ersten Stock des Klosters weiter so blank geputzt ist, wie er sich auch den aus Österreich angereisten Journalisten präsentierte.Otto Friedrich

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