Ist Frauenemanzipation im Hinduismus möglich?

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In Indien ist die Geburt einer Tochter immer noch ein Unglück und die Selbstverbrennung der Witwe immer noch die Krönung des Ideals der opferbereiten und hingebungsvollen Ehefrau. Die Religionswissenschafterin und Indologin Birgit Heller untersucht am Beispiel zweier hinduistischer Bewegungen, inwieweit feministische Ansprüche in einer patriarchalen Religion wie dem Hinduismus verwirklicht werden.

Als erstes untersucht sie die Ramakrishna-Bewegung, die durch den bengalischen Mystiker Ramakrishna und seinen Schüler Vivekananda Ende des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde. Nach dem Tod von Ramakrishna wurde seine Ehefrau Sarada Devi zur spirituellen Autorität. Sie wird bis heute als "Heilige Mutter" verehrt. Obwohl bereits Vivekananda, der im Westen selbständige Frauen schätzen gelernt hatte, die Gründung eines Frauenordens angestrebte, dauerte es bis 1954, ehe ein unabhängiger Frauenzweig eingerichtet wurde. Obgleich der Ramakrishna-Orden die Statusverbesserung von Frauen durch Sozial- und Bildungsprojekte fördert, kann ihre Höherentwicklung nur traditionellen hinduistischen Vorstellungen entsprechend geschehen. Konkret heißt das, die Frau soll mütterliche Qualitäten wie selbstloses Dienen, Hingabe und Geduld entfalten. Immerhin gibt die Ramakrishna-Bewegung Frauen die Möglichkeit, Samnyasini, also Nonne zu werden und die höchste spirituelle Stufe zu erreichen. Die Leitungsposten im Frauenorden sind jedoch einer Elite vorbehalten und es gibt keine Bestrebung, die soziale Unabhängigkeit der Frau zu fördern.

Im Gegensatz dazu weist die zweite Gruppe, die Birgit Heller untersucht, wesentlich mehr Züge einer Emanzipation auf. Die Visva-Dharma-Bewegung wurde erst 1972 im südindischen Bundesstaat Karnataka gegründet, zur Wiederbelebung der lokalen Lingayat-Religion. Diese Religion war bereits im 12. Jahrhundert als Reformbewegung, die alle Kasten- und Geschlechterunterschiede ablehnt, entstanden. Das heutige Oberhaupt ist eine Frau, Mate Mahadevi, die 1996 als "großer Weltguru" inthronisiert wurde. Sie setzt Frauen in führende Leitungspositionen ein und fördert die spirituelle und soziale Eigenständigkeit von Frauen. Dem traditionellen Ideal der Ehefrau, deren einzige Möglichkeit zur religiösen Vollendung in der Verehrung ihres Gatten liegt, setzt die Visva-Dharma-Bewegung das Bild der unabhängigen Asketin entgegen. Sexualität wird zwar verdammt, die Frau jedoch nicht - wie üblich - als Verführerin abgewertet. Vielmehr sind Mann und Frau für die Überwindung ihrer sexuellen Begierde selbst verantwortlich. Von einem egalitären Grundkonzept ausgehend, wird die Frau aufgefordert, weibliche wie männliche Qualitäten in sich zu entwickeln.

Birgit Heller sieht in beiden Bewegungen unterschiedliche Ansätze von Emanzipation verwirklicht, jedoch nicht das Modell einer feministisch-hinduistischen Theologie. Denn: Beiden Bewegungen fehlt die Zusammenarbeit mit der indischen Frauenbewegung zur Veränderung der sozialen Rolle der Frau.

Heilige Mutter und Gottesbraut. Frauenemanzipation im modernen Hinduismus. Von Birgit Heller. Milena-Verlag, Wien 1999. 360 Seiten, brosch., öS 348,-/e 25,29

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