Lethargie und Leidenschaft

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Zurzeit ist Birgit Minichmayr als neue Buhlschaft für den Salzburger „Jedermann“ in aller Munde. Jetzt kommt sie mit ihrem Berlinale-Erfolg „Alle Anderen“ auch in die heimischen Kinos.

Maren Ades Film „Alle Anderen“ ist für Birgit Minichmayr eine Erfolgsgeschichte: Für die Darstellung der Gitti wurde die österreichische Schauspielerin auf der Berlinale 2009 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Die Furche: In welchem Zusammenhang waren Ihnen zuletzt „alle anderen“ wichtig?

Birgit Minichmayr: In meinem Beruf sind andere immer wichtig, das spielt auch in der Selbstwahrnehmung eine Rolle. Aber die Meinung anderer soll nie zu wichtig werden, sonst verliert man sich. Geschmäcklerisch werden, sich anbiedern – das bin sicher nicht ich!

Die Furche: Was hält Gitti und Chris zusammen, was treibt sie auseinander?

Minichmayr: Gleichermaßen die Liebe und ihre Tücken.

Die Furche: Sehen Sie das Hin und Her der beiden zwischen Leidenschaft und Lethargie, aber auch ihre halbherzige Anti-Haltung gegenüber gewissen Gesellschaftsmodellen als Spiegel einer Generations-Mentalität?

Minichmayr: Den Film sehe ich nicht als „30+“-Film, sondern als einen Film über ein Paar und seine Beziehung zum „Wir“. Die Angst vor dem Sich-auf-etwas-Festes-Einlassen ist aber generationstypisch. Es ist eine Generation, die die alten Rollenmuster überholt findet, aber noch keine neuen gefunden hat. Unabhängige Pärchen, die nicht so sein wollen wie alle anderen, können mit den klassischen Strukturen nichts anfangen, aber sie suchen Erfüllung in der Liebe. Daraus kann echte Ohnmacht resultieren.

Die Furche: Gitti sucht Erfüllung in der Liebe, Chris vielmehr im Job. Beide definieren sich über den diesbezüglichen Erfolg. Klingt das nicht stark nach Klischee?

Minichmayr: Regisseurin Maren Ade spielt hier sicher mit Prototypen, das hat aber mit Klischee nichts zu tun. Sie wollte damit auch provozieren. Die Rollenmuster sind noch traditionell, werden jetzt aufgebrochen. Aber ich habe mich auch gefragt: Ist es wirklich so, dass eine Frau Erfüllung in der Liebe sucht und ein Mann dagegen lieber Anerkennung im Beruf? Teilweise sicher, aber ich glaube, es gibt eine Annäherung. Wir Frauen suchen Erfüllung in beiden Bereichen so wie auch der Mann anfängt, mit der Liebe anders umzugehen.

Die Furche: Trotzdem gibt man eine Beziehung heute schneller auf.

Minichmayr: Als ich 18 war, haben sich auch meine Eltern getrennt. Aber dann haben sie gemerkt, dass sie, egal mit wem, irgendwann wieder an denselben Punkt kommen würden. Nach zwei Jahren Trennung haben sie beschlossen, diesen Punkt gemeinsam zu überwinden, weil sie noch genug Liebe füreinander gespürt hatten. Ich glaube, dass man sich heutzutage viel schneller verführen lässt, zum scheinbar Besseren, sobald es anfängt, ein wenig zu kriseln. Das mag an einer modernen Wegwerf-Mentalität liegen.

Die Furche: Kann das Wir funktionieren, auch wenn man selber noch kein Ganzes ist?

Minichmayr: Ich hoffe! Denn sonst hätte ich ja noch nie eine Beziehung führen können! Was ich aber weiß, ist, dass ich keine Machtspielchen mehr spielen möchte, weil ich das als Tod der Beziehung ausmache.

Die Furche: Was könnten Gitti und Chris dafür tun?

Minichmayr: Sich aufeinander einlassen. Und reden. Reden ist in einer Beziehung elementar wichtig – und Mut. Sich auf jemanden oder auf etwas einlassen, hat viel mit Mut zu tun. Liebe will riskiert werden.

Die Furche: Wie nah ist Ihnen Gitti?

Minichmayr: Ich brauche nie Zeit, um „aus einer Rolle wieder rauszukommen“, weil die Rolle nie ich bin. Aber Parallelen und Wiedererkennungseffekte gibt es natürlich.

Die Furche: „Alle Anderen“ ist von pointierten, authentischen Dialogen bestimmt – die nicht improvisiert sind.

Minichmayr: Maren hat alles genauso geschrieben. Ich bin ans Drehbuch wie an ein Theaterstück rangegangen. Aber es beinhaltet so viele Dialoge und Texte, bei denen noch viel darunterliegt. So entsteht erst beim Drehen das fertige Bild, auch wenn die Dialoge nie improvisiert waren.

Die Furche: Theaterengagements in Wien und Berlin, Auszeichnungen auch für Ihre Filmrollen und nächstes Jahr als Buhlschaft in Salzburg – Sie wirken trotzdem sehr geerdet.

Minichmayr: Bin ich auch. Die Buhlschaft ist noch weit weg, dazu kann ich außer Phrasendreschen erst etwas sagen, wenn ich mich wirklich auf die Rolle vorbereite. Ich hoffe, dass ich weiter so arbeiten kann – im Theater, im Film. Das erfüllt mich. Das und die Liebe.

Alle Anderen

D 2009. Regie: Maren Ade. Mit Birgit Minichmayr, Lars Eidinger. Polyfilm. 119 Min.

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