Nach & Vor so mancher Wahl

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Ich gestehe, dass ich zuerst doch ziemlich erschrocken bin. Steht doch die Darstellung der Rhetorik österreichischer rechtspopulistischer Politiker und Politikerinnen unter der Überschrift: "Dem Volk aufs Maul schauen, nach dem Mund reden und Angst und Bange machen". Sollte jetzt auch Martin Luther, dem zumindest der erste Teil des Titelzitates zugeschrieben wird, zum Ahnherrn des Rechtspopulismus werden?

Gleich schlug ich in den Quellen nach. In seinem "Sendbrief vom Dolmetschen" von 1530 erläutert Luther seine Arbeitsweise bei der Übersetzung der Bibel. "Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden; sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen, und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es denn, und merken, dass man deutsch mit ihnen redet."

Wenn dem Volk aufs Maul geschaut wird, heißt das noch lange nicht, dass ihm auch nach dem Mund geredet wird. Hier liegt die Hauptdifferenz zum Rechtspopulismus. Seine Rhetorik lebt von der Freund-Feind-Gegenüberstellung, von drastischen und vereinfachenden Aussagen, von der Froschperspektive gegen "die da oben"; die Sprache ist aggressiv, diskriminierend, verunglimpfend; sie kann körperliche Übelkeit erzeugen, wie Gertraud Knoll einmal gegenüber Ewald Stadler bemerkte; sie mobilisiert gegen die Fremden und das Fremde.

Alles dies tut Luthers Sprache, so streitlustig, deftig und ungeschützt sie auch war, nicht. Sie verdankt sich nämlich einer Wahrheit, die alle Weltanschauungen und Gesinnungsgemeinschaften in Frage stellt. Es ist die Barmherzigkeit, die allen Menschen gilt, Gerechtigkeit und Frieden, die immer wieder durch die Kirchen von der Politik einzufordern sind. Es wäre für die Demokratie gut, wenn selbst rechtspopulistische Politiker merkten, dass jemand deutsch mit ihnen redet. In einer Sprache, die sie verstehen.

Der Autor ist Oberkirchenrat

der Evangelischen Kirche A.B.

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