Teuflischer Fehlschlag

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"Mein jüngstes Gericht" heißt das philosophische Testament des 1999 verstorbenen französischen Denkers Jean Guitton.

In der Pariser Rue de Rennes kippt ein Verkehrspolizist um und muss ins Krankenhaus gebracht werden. Ursache: Schwefelgestank. Ursache des Schwefelgestanks: der Satan höchstpersönlich. Der nämlich hat soeben in höchster Erregung (und darum offensichtlich aus allen Poren stinkend) das Sterbezimmer eines Philosophen verlassen. Seine Versuche, den Mann noch kurz vor dem Tod um seinen satanischen Finger zu wickeln, ist erbärmlich fehlgeschlagen. Der alte Herr, der sich als Freidenker und trotzdem als Katholik versteht, hat sich nach dem Gespräch mit dem Teufel, den er seinen "lieben Feind" nennt, nicht in Zweifel verstricken lassen. "Der wirklich universelle Zweifel beinhaltet einen Zweifel am Zweifel selbst", hält der Sterbende dem Versucher entgegen. Die kritische Vernunft lässt sich trotz teuflischer Bemühungen nicht gegen den Glauben in Anschlag bringen. Im Gegenteil: Er würde durch Aufgabe des Glaubens die kritische Vernunft verraten, sagt der Philosoph. Was sein Gegenüber in Rage bringt.

"Guitton, sie sind teuflisch", sagt der Teufel. Antwort: "Sie sind ein Engel, Luzifer." Dann verschwindet der Gast, nicht ohne seine Duftmarke zu hinterlassen, wie ein in die Enge getriebenes Stinktier.

Jean Guitton heißt der Philosoph auf dem Sterbebett. Und er ist auch der Autor des Buches, das sein Sterben auf so lebendige Weise beschreibt. "Mein jüngstes Gericht" lautet der etwas schwere Titel der deutschen Ausgabe. Aber Witz und Ironie kommen nicht zu kurz. Mit leichter Feder wirft der greise Guitton seine Skizzen über den philosophischen Tod des Philosophen hin. Originaltitel der 1998, ein Jahr vor Guittons tatsächlichem Tod erschienen Ausgabe: Mon testament philosophique. Es ist die philosophische Summe des großen katholischen Denkers, des Freundes Papst Pauls VI. und Gesprächspartners François Mitterrands.

Guitton beschreibt seinen Tod im Imperfekt, als vergangenes Ereignis. Der 1901 geborene Philosoph hat fast ein Jahrhundert hinter sich, als er auf unpathetische Weise sein Sterben literarisch vorwegnimmt. Auf dem Sterbebett, so seine Phantasie, erhält er Besuch von großen Kollegen. Er wäre kein Philosoph, würde er ihnen von seinen Krankheiten erzählen. Nein, in guter alter Philosophenmanier führt er Dialog mit ihnen. Niemand Geringerer als Blaise Pascal möchte von Guitton wissen, warum er an Gott glaubt. Der Todkranke zeigt keinerlei Anzeichen von Konzentrationsschwäche, wenn er nachweist, dass alle Menschen an ein Absolutes glauben. Kaum ist Pascal weg, kommt Guittons Lehrer Henri Bergson und will eine Begründung dafür hören, dass Guitton Christ ist. Der legt sehr schlüssig dar, warum er die Auferstehung weder für eine Legende noch einen Mythos hält. Papst Paul VI. wieder will wissen, warum der Philosoph Katholik ist. Die Antwort fällt Guitton besonders schwer, weil sie besonders unzeitgemäß zu sein scheint: wegen des Gehorsams. Selbstverständlich trennt er dann messerscharf den wahren Gehorsam von seinen Fehlformen. Ein Freidenker, trotzdem. Er stirbt im Beisein Pauls VI.

Von seinem Tod lässt sich der greise Philosoph nicht in die Gloriole setzen. Im Gegenteil: Unzulänglichkeiten werden nicht verschwiegen. Der Sterbende nörgelt über die Haushälterin. Der Verstorbene wohnt seiner Beerdigung bei und schimpft über die nicht gekommenen Honoratioren. Die Dialoge des Toten mit de Gaulle, Dante oder Mitterrand werden um der Wahrheit, nicht des Ruhmes willen geführt. Guitton verhehlt nicht, dass er aus Vernunftgründen gläubig ist und sich mit Emotionen schwer tut. Gott, ich liebe dich: Dieser Satz, den der Papst hören möchte, kommt ihm im Sterben nicht mehr vollständig über die Lippen. Trotzdem schreitet er am Ende zuversichtlich zum Gericht, bei dem Thérèse von Lisieux für ihn kämpft.

Die großen Themen der Menschheit wie Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, Glaube, sie sind alle da. Aber es ist ein leichtes, ein heiteres Buch, das der katholische Philosoph in großer Abgeklärtheit geschrieben haben muss. Es ist nicht nur interessant, es ist auch vergnüglich zu lesen. Und es führt zur Frage nach dem eigenen Sterben: Wer könnten die Dialogpartner sein?

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-TV.

MEIN JÜNGSTES GERICHT. Der Philosoph und der Tod. Von Jean Guitton. Verlage Topos Plus/Styria, Kevalaer/ Graz 2001. 263 S., TB, öS 141,-/e 10,25

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