Vergöttlichung der Welt

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Eric Voegelin (Bild unten) und das Konzept der Politischen Religion.

Dass auch im modernen Staat ein Zusammenhang zwischen Politik und Religion besteht, war unter Staatsrechtlern schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Thema. Der berühmte Ausspruch des - wegen seiner juristischen Rechtfertigung des Nationalsozialismus umstrittenen - Rechtstheoretikers Carl Schmitt (1888-1985), "Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe", fiel schon 1922. Auch der im Wien der Zwischenkriegszeit lehrende Rechtsphilosoph Eric Voegelin (1901- 1985) untersuchte und beschrieb die politischen Bewegungen seiner Zeit mit religiösen Kategorien.

Voegelins bahnbrechende Erkenntnis, die er noch 1938 in Wien in seinem Buch "Die politischen Religionen" publizierte, war, die zahlreichen religiösen Komponenten totalitärer Systeme - namentlich des Nationalsozialismus und des Kommunismus - offen zu legen. Nach Voegelins These gründen sich die Diktaturen seiner Zeit auf eine innerweltliche Religiosität, die das Kollektiv der Rasse (NS-Ideologie) oder der Klasse (Kommunismus) vergöttlicht.

Als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus musste Voegelin 1938 emigrieren, an der Universität von Louisiana in den USA fand er eine neue wissenschaftliche Heimat. 1958 ging er als Politikwissenschafter an die Universität München, 1969 kehrte er in die USA (Stanford) zurück, wo er bis zu seinem Tod lehrte. Eric Voegelins mehrbändiges Hauptwerk "Ordnung und Geschichte" ("Order and History"), in dem er die großen Linien von Politik, Religion und Anthropologie nachzeichnet, soll heuer erstmals vollständig in deutscher Übersetzung vorliegen.

"Politische Religion", die von Voegelin angestoßene Betrachtung totalitärer Ideologien mit religiösen Kategorien und Parallelen, erfährt seit den 90er Jahren eine Renaissance - nicht zuletzt bei der Bewertung und soziologischen Untersuchung von religiös motiviertem Terrorismus: Auch diesem liegt ein totalitäres Gesellschaftsverständnis zugrunde; daher kann der sich auf Gott berufende Terrorismus ebenfalls als Politische Religion charakterisiert werden (siehe auch das Interview rechts). ofri

POLITISCHE RELIGION? Politik, Religion und Anthropologie im Werk von Eric Voegelin

Hg. von Michael Ley, Heinrich Neisser, Gilbert Weiss. Wilhelm Fink Verlag, München 2004, 212 Seiten, kt., e 33,90

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