Für eine Politik jenseits von Sachzwängen und Machtfragen

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Leo Strauss und Eric Voegelin zählen in Fragen von Politik, Religion und Wissenschaft zu den wegweisenden Denkern des 20. Jahrhunderts. Nun ist erstmals der langjährige Briefwechsel zwischen den beiden veröffentlicht worden.

Sowohl Leo Strauss als auch Eric Voegelin gelten als Vertreter der normativ-ontologischen Schule der politischen Theorie, einer Denkrichtung, die gegen den empirischen Reduktionismus und die Materialhuberei der modernen Sozialwissenschaften antrat. Die von ihnen durch kreative Aneignung verwendete Wissenschaftsmethodik der griechischen Philosophie versuchte ein Gegengewicht zu schaffen gegen den naturwissenschaftlichen Wissenschaftsbegriff, dessen unkritische Anwendung für den Bereich der Sozialwissenschaften zu den Aporien und Pathologien der Neuzeit geführt habe. Erst durch das neuzeitliche Menschenbild sei es zum Verlust der Offenheit zur Transzendenz, zum Absterben der religiösen Wurzeln und zum generellen Absinken des normativen Reflexionsniveaus in der Politikwissenschaft gekommen.

Die Säulenheiligen der Moderne - Machiavelli, Hobbes und Rousseau - hätten mit ihren Werken einer Politik zum Siegeszug verholfen, die vor allem trivialen Motiven wie Machtgewinn und -erhalt verpflichtet ist. Strauss und Voegelin hielten diese Entwicklungen für einen gefährlichen Irrweg, der in den Totalitarismen des Nationalsozialismus und des Kommunismus kulminierte. Gegen die nihilistischen Seiten der Moderne wollten sie in ihren Forschungsarbeiten wieder die Frage nach den Grundlagen der besten politischen Ordnung sowie die für den einzelnen Amtsträger und Bürger so wichtige Suche nach dem guten Leben und der menschlichen Tugend in den Mittelpunkt der politischen Theorie stellen. Eine solche Auffassung von Politik will mehr als Verwalten von Sachzwängen und erschöpft sich nicht in Machtfragen, sondern entwickelt eine Ordnungspolitik, die religiöse und geistige Elemente ebenso umfasst wie ethische, ökonomische und politische.

Rehabilitierung des Naturrechts

Strauss’ erkenntnistheoretisch hochambitioniertes Ziel war es, die Grundlagen des Naturrechts durch Neulektüre der klassischen Philosophie und der grundlegenden Glaubenssätze der heiligen Schriften für das 21. Jahrhundert aufzubereiten. Worin liegt aber das auch für heutige Staaten so emanzipatorische Potenzial des klassischen Naturrechts? Es kann, da es von Gott (oder einer philosophischen Seinsquelle) stammt, nicht das Produkt menschlichen Forschens und Strebens sein. Als von Gott gegeben gibt das Naturrecht dem einzelnen Menschen eine universal gültige Hierarchie der Zwecke vor, jedoch keine universal gültigen Handlungsregeln. Im Naturrecht ist also eine Hierarchie der Zwecke der einzig legitime Maßstab, anhand dessen Menschen urteilen sollen. Der Zweck heiligt aber natürlich nur dann die Mittel, wenn diese Zwecke nicht dem göttlichen Gesetz oder den seit Jahrtausenden überlieferten Traditionen widersprechen. Eine solche Demut vor dem Göttlichen bescheidet das menschliche Machtstreben.

Zentral war für Voegelin auch die Annahme des Bösen, welches er als "echte, in der Welt wirksame Kraft begreift“ und nicht nur als Absenz des Guten. Mit Definitionen wie dieser oder seiner Totalitarismusdefinition war und bleibt Voegelin innerhalb der Wissenschaftsgemeinde umstritten. Dennoch verdient sein Gedanke, dass es eine naive Annahme sei, wonach der Mensch von Natur aus gut sei, Beachtung. Mit dem auf sich zurückgeworfenen Menschen, der sich als nur sich selbst verantwortliche Krone der Schöpfung begreift, begann der aufklärerische Hochmut, der in die Katastrophe der drei G mündete: Guillotine, Gulag, Gaskammer. Dieses moderne Denken zu überwinden und die verschüttgegangenen, aber für ein geglücktes menschliches Leben so notwendigen Quellen einer philosophia perennis (immerwährende Philosophie) neu zu entdecken und zu begründen, war das gemeinsame Ziel dieser beiden Ausnahmewissenschaftler.

Allerdings gab es im wissenschaftlichen Œuvre auch gravierende Differenzen und Unterschiede: Schon zu Beginn des intensiven Briefwechsels hält Strauss fest, dass die Basis des Voegelin’schen Denkens der christliche Glaube bilde, woraus sich die Frage ableite, ob denn der Glaube die Basis einer Wissenschaft bilden könne. Konnte er für Leo Strauss nicht, der sich auf die Seite von Wissenschaft und Philosophie stellte, während Voegelin Glaube, Offenbarung und einen mystisch-spirituellen Seinsgrund bevorzugte. Dass sich trotz solcher Differenzen das Denken beider gegenseitig befruchtete, ist auf kompakten 208 Seiten Briefkorrespondenz nachzulesen.

Kritik am Kritischen Rationalismus

Aber der Briefwechsel behandelt nicht nur hochtheoretische Fragen, sondern liefert auch Spitzen gegen Methodik und erkenntnistheoretische Grundlangen der modernen Sozialwissenschaft. So wird der bekannte Sozialphilosoph Sir Karl Popper inhaltlich von beiden auf das Schärfste angegriffen. Voegelin weist nach, dass Popper den Begriff der "offenen Gesellschaft“ von Henri Bergson übernommen hat, ohne allerdings die religiösen Konnotationen des Begriffes bei Bergson zu berücksichtigen. Popper verwendete den Begriff der offenen Gesellschaft im Sinne des englischen Sozialpsychologen Graham Wallas. Auch unsaubere Zitate, wo Popper Hegel zitiert, ohne den Inhalt der Werke perzipiert zu haben, entgehen der aufmerksamen Lektüre Voegelins und Strauss’ nicht. Beide kanzeln Poppers methodischen Ansatz der Falsifizierung als "ausgelaugtesten, leblosesten Positivismus“, der sich als Rationalismus tarnt, aber unfähig ist "rational zu denken“, ab. Sie beharren darauf, dass ein Werk wie jenes Poppers alleine aus der Berufspflicht heraus nicht "geschrieben und veröffentlicht hätte werden dürfen“. Hier wird ein strenges wissenschaftliches Berufsethos eingefordert, das in Zeiten von Guttenberg-Doktorarbeiten und einer steten Absenkung des Reflexionsniveaus auch an österreichischen Universitäten wieder dringend notwendig wäre.

Eines gelingt dem Briefwechsel jedenfalls ausgezeichnet: Er gibt einen konzisen Ein- und Überblick über Werke und Hauptthesen beider Denker; wer sich also nicht durch das zehnbändige Hauptwerk "Ordnung und Geschichte“ von Voegelin und die sechsbändige Gesamtausgabe von Strauss durcharbeiten möchte, findet hier einen guten Einstieg. Auf die Kernfrage der beiden, ob nun Wissen oder Glaube höher einzuschätzen sei, vermögen sich die beiden Wissenschaftler jedenfalls nicht zu einigen. Vielleicht böte sich ja ein dritter Weg zwischen diesen beiden Positionierungen an: Die Grenzen des Wissens heißen zwar nicht notwendigerweise Glauben, sind aber immer auch eine der vielen Möglichkeiten zu Gott.

* Der Autor ist Geschäftsführer des Friedrich Funder Institutes

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