Warnpfiffe für die Gesellschaft

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Louis Clark ist Präsident der größten Whistleblower-Vereinigung "Government Accountability Project" mit Sitz in Washington und Seattle. Im furcheGespräch erläutert Clark seine Strategie, damit Whistleblowing nicht in die private Katastrophe führt.

Die Furche: Wie definieren Sie Whistleblower?

Louis Clark: Whistleblower sind ein gesellschaftliches Frühwarnsystem. Das US-Recht definiert Whistleblower als "Arbeitnehmer, die illegales Vorgehen, Verschwendung und Missmanagement sowie den Missbrauch von Autorität oder eine andere substanzielle Gefahr für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit zur Anzeige bringen". In den Niederlanden werden Whistleblower "Glockenläuter" genannt; dort stehen sie in der Tradition jener, die ihre Gemeinde durch das Läuten der Kirchenglocken gewarnt haben. Anderswo vergleicht man Whistleblower mit Leuchtturmwärtern. Allen Definitionen gemeinsam ist, dass Whistleblower das Menschenrecht der freien Rede dazu nützen, die Gesellschaft vor großen Gefahren und grobem Fehlverhalten zu warnen.

Die Furche: Welche Menschen werden zu Whistleblowern?

Clark: Das sind völlig integre Frauen und Männer. Oftmals Perfektionisten, die an sich und ihre Arbeit die höchsten Ansprüche stellen. Sie sind gute Staatsbürger und Demokraten, die in ihrer Arbeit vor allem durch Fleiß und Einsatzfreude auffallen...

Die Furche: Sind sie vielleicht auch zu gutgläubig?

Clark: Ja, sie sind meist etwas naiv. Der Großteil von ihnen meint, es würde genügen, die Wahrheit zu sagen, und alle in ihrer Umgebung stimmen zu und würden sich mit ihnen solidarisieren, um das zu ändern, was geändert werden muss. Aber das passiert natürlich nicht oder nur in den seltensten Fällen.

Die Furche: Was geschieht in der Regel mit Whistleblowern?

Clark: Sie werden zum Feind und alles fällt auf sie zurück. Sie selbst und nicht das, was sie an die Öffentlichkeit bringen wollten, geraten ungewollt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Sie werden als Nestbeschmutzer verunglimpft und für verrückt erklärt. Dauernd müssen sie sich selbst verteidigen. Auf einmal, nachdem sie Whistleblower gewesen sind, machen sie nach Ansicht ihrer Vorgesetzten nichts mehr richtig. Zwei Drittel der Whistleblower verlieren ihre Stelle, bei zwei Drittel wird Rufmord betrieben. Zwei Drittel werden nicht mehr befördert. Sie werden wegen Kleinigkeiten abgemahnt. Ihre Kollegen sprechen nicht mehr mit ihnen, meiden jeden Kontakt.

Die Furche: Warum gibt es wenig Solidarität mit Whistleblowern?

Clark: Wir versuchen unsere Klienten davon zu überzeugen, dass, ihre Kollegen immer noch ihre Verbündeten sind. Seht eure Kollegen nicht als eure Feinde an, sagen wir zu den Whistleblowern. Auch die Kollegen fühlen sich schlecht, wenn sie nicht mehr mit Whistleblowern reden. Fast jeder von denen wird die Wahrheit sagen, wenn es darauf ankommt. Aber das sind eben noch Leute, die nur innerlich in die Pfeife blasen.

Die Furche: Was sagen psychologische Studien über Whistleblower?

Clark: 84 Prozent fühlen sich isoliert und machtlos, wurde dort festgestellt. 78 Prozent werden sehr misstrauisch. 69 Prozent sind gesundheitlich angeschlagen. 66 Prozent bekommen finanzielle Schwierigkeiten und haben Probleme in der Familie.

Die Furche: Ihre Schilderungen hören sich nach gesellschaftlichem Selbstmord an - führt Whistleblowing also meistens in die persönliche Katastrophe?

Clark: Einzelne Whistleblower werden in den Ruin getrieben, wenn sie keine Hilfe bekommen. Dennoch bereuen nur zehn Prozent der Whistleblower, was sie getan haben; die große Mehrheit würde das Gleiche noch einmal tun. Mit diesen Menschen passiert etwas auf den ersten Blick Unverständliches: Sie fühlen sich hinterher gut, obwohl sie wegen ihrer Aussagen vieles erleiden müssen.

Die Furche: Wie kann Whistleblowern geholfen werden?

Clark: Das erste, was Whistleblower brauchen, sind Rechtsanwälte, die sie vertreten. Und sie brauchen jede Art von moralischer Unterstützung, um die Enttäuschung zu überwinden, wenn nicht sofort etwas zur Behebung des von ihnen angeklagten Unrechts oder Unheils passiert, obgleich sie die Wahrheit sagen.

Die Furche: Was sehen Sie als vorrangige Aufgabe Ihrer Organisation?

Clark: Unser erstes Ziel war, das negative Whistleblower-Image zu verändern: weg von einem illoyalen Arbeitnehmer hin zum positiven Image eines Beschäftigten, der sehr besorgt ist um das Wohl der Allgemeinheit, der Konsumenten, Steuerzahler und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit. 60 bis 70 Prozent der Menschen sind mit Fehlverhalten konfrontiert, aber sie tun nichts dagegen, mit der Begründung, "dass sich doch nichts ändern wird". Interessant ist, sie sagen nicht, dass sie Angst haben oder dass sie befürchten, ihre Arbeit zu verlieren.

Die Furche: Sie versuchen auch den Gesetzesschutz auszubauen.

Clark: Das ist aber erst der Anfang. Sobald man ein Gesetz hat, fängt der Kampf erst richtig an. Gerichtsurteile müssen wieder rückgängig gemacht werden. Und Verwaltung und Behörden versuchen ständig, das zum Vorteil der Bürokratie zu unterlaufen.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

"Angst vor Whistleblowern"

Seit 1977 arbeitet Louis Clark als Rechtsanwalt für die Whistleblower-Organisation "Government Accountability Project" (GAP) mit Niederlassungen in Washington und Seattle. Heute ist Clark Präsident dieser weltweit größten Whistleblower-Organisation.

Als Vorbild nennt Clark Daniel Ellsberg. Dieser unterrichtete die Amerikaner über die Lügen, die den Vietnamkrieg legalisieren sollten. Ein weiteres Vorbild für Clarks Arbeit war jener unbekannte Whistleblower, der den Watergate-Skandal aufdeckte. "Einzelne Menschen", sagt Clark, "die die Gesellschaft hin zum Besseren verändert haben."

GAP hat 30 Angestellte und 50 ehrenamtliche Mitarbeiter. Das Jahresbudget beträgt 1,7 Millionen Dollar. 65 Prozent des Etats kommen von 30 amerikanischen Stiftungen, 20 Prozent von 8.000 Einzelsponsoren und 15 Prozent von Whistleblower-Fällen, die vor Gericht gewonnen wurden. GAP richtet seine Aufmerksamkeit auch auf die Mitarbeit von gewissenhaften Beamte in Regierungen und Behörden. Und GAP vermittelt zwischen Managern und Whistleblowern. "Die Korruption geht zurück", ist Clark über den Erfolg seiner Organisation zufrieden: "Die Täter haben Angst vor Whistleblowern."

www.whistleblower.org

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