Der tiefe Fall des "Dagobert von Mexiko"

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Ende Oktober wurde der chinesische Geschäftsmann Zhenli Ye Gon von den USA nach Mexiko ausgeliefert, wo ihm nun der Prozess gemacht werden soll: Unlautere Geschäfte, Korruption, politische Verstrickungen und Unmengen an Geld.

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Ende Oktober wurde der chinesische Geschäftsmann Zhenli Ye Gon von den USA nach Mexiko ausgeliefert, wo ihm nun der Prozess gemacht werden soll: Unlautere Geschäfte, Korruption, politische Verstrickungen und Unmengen an Geld.

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Am späten Nachmittag des 15. März 2007 unterbrach eine Karawane an Polizeipatrouillen und gepanzerten Fahrzeugen den Frieden in Las Lomas de Chapultepec, einem exklusiven Viertel der mexikanischen Hauptstadt Mexiko-Stadt. Illustre Persönlichkeiten wie Telekom-Magnat Carlos Slim, einer der reichsten Männer der Welt, residieren hier. Ziel der mit schusssicheren Westen und großkalibrigen Waffen ausgerüsteten Polizeistreitmacht war das Anwesen von Zhenli Ye Gon, Besitzer eines Pharmaunternehmens und mutmaßlicher Kopf eines zwischen Mexiko und China operierenden Drogenrings. Ye Gon soll mexikanische Kartelle mit Ephedrin und Pseudoephedrin beliefert haben, die zur Herstellung der synthetischen Droge Metamphetamin dienen, besser bekannt als Crystal Meth.

Bis auf ein paar Hausangestellte traf die Polizei niemanden an. Im oberen Stockwerk der weitläufigen Residenz aber stießen die Beamten auf ein hinter Spiegelwänden gelegenes Geheimzimmer. Darin versteckt: Geld. Viel, viel Geld. Hunderte Koffer voller Banknoten, insgesamt zwei Tonnen 100 Dollar-Scheine, mexikanische Pesos und Hongkong-Dollar.

Tagelanges Geldzählen

Es dauerte mehrere Tage, das Geld zu zählen: 205 Millionen US-Dollar - die größte jemals in bar beschlagnahmte Menge an mutmaßlichem Drogengeld.

Die Operación Dragón gegen Ye Gons Metamphetamin-Netzwerk war der Auftakt zum "Krieg gegen die Drogen" des damals frisch gewählten Präsidenten Felipe Calderón, der Mexiko bis heute mit Gewalt überzieht und in den vergangenen zehn Jahren rund 200.000 Menschen das Leben gekostet hat. Zwischen 2007 und 2008 verhafteten die mexikanischen Behörden und die US-Drogenfahnder der DEA mehr als 30 mit Zhenli Ye Gon verbundene Personen.

Zhenli Ye Gon selbst hatte sich rechtzeitig in die USA abgesetzt. Von New York aus beteuerte er seine Unschuld. In einem Interview gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press behauptete er, das Geld sei ihm einige Monate vor der Präsidentschaftswahl im Juli 2006 von Mitgliedern der damaligen Regierungspartei PAN übergeben worden, um damit Stimmenkauf und politische Kampagnen zu finanzieren, u. a. die des Präsidentschaftskandidaten Calderón. Schwarze Kassen auf mexikanisch.

Konkret beschuldigte Ye Gon den späteren Arbeitsminister der Regierung Calderón, Javier Lozano Alarcón. Laut dem US-TV-Sender Univisión, der sich auf die anonyme Aussage eines DEA-Agenten beruft, soll das Geld von Drogenboss Arturo Beltrán stammen, damit Calderón gegen rivalisierende Kartelle vorgehe, Beltráns eigene Organisation aber schütze. Calderón gewann die Wahlen 2006 mit hauchdünnem Vorsprung. Vorwürfe massiven Wahlbetrugs wurden nie hundertprozentig ausgeräumt. Beltrán wurde im Dezember 2009 vom mexikanischen Militär gestellt und getötet.

"Cooperas o cuello" (frei übersetzt: "Friß oder stirb"), war laut Ye Gon die Drohung der PAN-Abgesandten. In Ye Gons chinesisch eingefärbtem Spanisch aber klang dies wie "Copelas o cuello" und wurde in Windeseile zum geflügelten Wort in Mexiko als sehr eigene Version von "plata o plomo" (frei übersetzt: "Geld oder Leben"). Calderón und seine Partei dementierten Ye Gons Version rundweg und bezeichnete sie als "cuento chino" (chinesisches Erzählung), also Humbug.

Bis zur Durchsuchung in Las Lomas war Zhenli Ye Gons Name nie in den mexikanischen Medien aufgetaucht. Nachbarn beschreiben ihn als unauffällig, Gespräche mit ihm gingen im Grunde nie über "Guten Tag" hinaus. Entsprechend wenig ist über ihn bekannt. Laut Prozessunterlagen wurde Zhenli Ye Gon 1963 in Shanghai geboren. Er studierte Jura und kam Anfang der Neunziger nach Mexiko, um eine chinesisch-stämmige Mexikanerin zu heiraten. Die Schwiegereltern luden Ye Gon ein, sich an dem Familienunternehmen, einer Import-/Export-Firma, zu beteiligen. Einige Jahre später gründete er sein eigenes Unternehmen in einem lukrativeren Geschäftszweig: der Pharmaindustrie.

Politisch bestens vernetzt

Ye Gons Firma Unimed wurde bald zu einem der führenden Händler von Ephedrin und Pseudoephedrin, die er mit Autorisierung des Gesundheitsministeriums aus China einführte. Der Erfolg seiner Unternehmungen ermöglichte Ye Gon den Erwerb der Luxusvilla in Las Lomas, teure Uhren und Luxusautos. Er wurde zu einem Stammkunden in den Casinos von Las Vegas. Im Februar 2003 erhielt er die mexikanische Staatsbürgerschaft aus den Händen des damaligen Präsidenten Vicente Fox.

In Mexiko kann man nicht ökonomisch erfolgreich sein ohne politische Verbindungen. "Ein Freund sagte mir: Wenn Du hier in Mexiko Geschäfte machst, geht es nicht allein ums Geld. Geschäfte in Mexiko sind Geld plus Politiker plus Macht", so Ye Gon gegenüber Univisión. Dem Rat seines Freundes folgend begann er politische Kampagnen zu finanzieren, darunter die von Fidel Herrera Beltrán (PRI), von 2004 bis 2010 Gouverneur des Bundesstaates Veracruz und einer der korruptesten Politiker Mexikos, dem Verbindungen zum Kartell Los Zetas nachgesagt werden.

Als die Regierung Fox 2005 den Import von Ephedrin und Pseudoephedrin beschränkte, war Ye Gons Geschäftsmodell plötzlich bedroht. Zuvor war publik geworden, dass Mexiko die dreifache Menge dieser Substanzen importierte, die für die Pharmaindustrie benötigt würde.

Ye Gon begann, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Substanzen unter falschen Deklarationen einzuführen, aus denen er Ephedrin und Pseudoephedrin herstellte. Diese verkaufte er dann u. a. an das Sinaloa-Kartell des mittlerweile inhaftierten Drogenbosses Joaquín "El Chapo" Guzman zur Herstellung von Metamphetamin weiter. Beim späteren Prozess in den USA war diese mutmaßliche Verbindung aber weder Teil der Anklage noch spielte sie bei den Verhandlungen eine Rolle.

Vier Monate nach seiner Flucht war Ye Gon am 24. Juli 2007 in einem Restaurant in Rockville, Maryland, verhaftet worden. Statt ihn nach Mexiko auszuliefern, machten die USA ihm selbst den Prozess. Die US-Behörden interessierte vor allem die Geschichte mit den Casinos. Laut DEA soll Ye Gon in drei Jahren 125 Millionen US-Dollar verspielt haben, was ihn zum größten Verlierer in der Geschichte von Las Vegas macht. Handelte es sich dabei um Geldwäsche?

Zweifelhafte Indizienkette

Aufgrund fehlender Beweise und weil Schlüsselzeugen ihre Aussagen widerriefen, wurde der Fall 2009 eingestellt. Mögliche unangenehme politische Verstrickungen Ye Gons und seine Beziehungen zu verschiedenen Casinos in Las Vegas kamen dadurch nie ans Tageslicht. Zwei Jahre später genehmigte ein Gericht Ye Gons Auslieferung nach Mexiko, wogegen dieser jedoch Rechtsmittel einlegte. Er fürchte um sein Leben.

Nach neun Jahren juristischem Limbo ist der heute 53-Jährige am 18. Oktober von US-Marshalls nach Mexiko überstellt worden und wurde in das Hochsicherheitsgefängnis Altiplano gebracht. Es ist zweifelhaft, ob nach so vielen Jahren die Beweislage ausreicht, Ye Gon die ihm zur Last gelegten Delikte wie organisierte Kriminalität, Drogenhandel oder Geldwäsche nachzuweisen.

Die beschlagnahmten Dollar-Millionen -obwohl als mutmaßliches Drogengeld wichtiges Beweismittel -hat die mexikanische Regierung mittlerweile für den Bau von Rehabilitationszentren und Polizeiausrüstung ausgegeben. Die ehemalige Medizinfabrik von Unimed in Toluca ist heute eine Einsatzzentrale der Polizei. Und die Mehrzahl der damals an der Operación Dragón beteiligten Beamten ist in der Zwischenzeit aus dem Dienst ausgeschieden oder verstorben. Die Frage, ob es sich bei Ye Gon um einen der größten Drogenhändler der westlichen Hemisphäre handelt oder lediglich um einen Unternehmer, der für ein gutes Geschäft auch vor der Zusammenarbeit mit dem Teufel nicht zurückschreckt, wird also vielleicht nie beantwortet werden.

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