Wichte als Wichtigtuer

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In allen Sprachen gibt es die Neigung, unverstandene Wörter durch Anlehnung an klangähnliche Wörter verständlich und damit verwendbar zu machen. In der Linguistik wird dieses Phänomen "Volksetymologie" genannt. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Umgestaltung des Wortes "Sintflut" (von sinfluot = große, allgemeine Flut) in "Sündflut" - weil sie nach der Bibel über die Menschheit als Strafe für ihre Sünden ausgeschüttet wurde.

Solche volksetymologischen Veränderungen von Wörtern sind semantisch sehr interessant, weil in ihnen die aktuellen Grenzen des öffentlichen Verstandes offengelegt werden, und da weiß man dann wenigstens, wozu Menschen fähig sind, und das ist ganz wichtig in einer Demokratie, in der aus diesen Begrenztheiten politische Machtgefüge generiert werden.

Zum Beispiel wichtig - ein Attribut, das Politiker für sich und ihre Aktionen gerne in Anspruch nehmen. Zweifellos hat das Wort mit "Gewicht" zu tun: Was Gewicht hat, ist wichtig. Die Frage ist, ob hier nicht ein möglicher Volksmund bedenkenswert wäre - auch wenn er nachher seine Stimmen als zusätzliche Gewichte in die politische Waagschale wirft: Warum soll wichtig nicht mit Wicht in Zusammenhang zu bringen sein - der Bezeichnung für jene Wesen, die unter dem bekannten Namen "Kobolde" in der älteren Überlieferung Wohlstand bringen, das Gesinde beaufsichtigen und gute Ratschläge geben, in der neueren aber tückische Spiele treiben und schlimme Krankheiten verursachen? Man denke nur an den derzeitigen Schabernack mit Kandidaturen und Terminen für Landtags- und Nationalratswahlen in Österreich. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass auch Wichte nicht davor gefeit sind, in einer Sündflut zu ersaufen.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz.

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