Geistes-Kraftwerk statt bloßer Kaderschmiede

Werbung
Werbung
Werbung

Die ehemals links-liberale London School of Economics gilt in England als Vorzeigemodell einer privatwirtschaftlich orientierten Universität. Doch Kritiker sehen darin einen Verrat an der eigenen, sozialreformerischen Tradition.

Die Geschichte der London School of Economics and Political Science (LSE) begann - wie könnte es in England anders sein - mit einer Tea- and Breakfast-Party. Zwischen Ham and Eggs entwickelten George Bernard Shaw, George Wallas, Beatrice und Sidney Webb am 4. Juni 1894 den Plan zur Gründung einer Reform-Universität, deren Ziele ein origineller, anspruchsvoller Unterricht sowie eine praxis- und zukunftsorientierte Forschung sein sollten.

Die vier waren die Köpfe der Fabian Society, einem Kreis sozialistischer Intellektueller, die sich für graduelle soziale Veränderungen der englischen Gesellschaft engagierten. Die Erziehung einer neuen, verantwortungsbewussten, nicht von "Oxbridge-Absolventen" dominierten Bildungselite schien den "Fabians" der Weg zur Befreiung aus den Verkrustungen der viktorianischen Zeit. Die neuen Ideen kamen zum richtigen Zeitpunkt. Weite gesellschaftliche Kreise befürchteten, dass Englands Industrie wegen des veralteten Wissenschaftssystems im weltweiten Wettbewerb nicht mithalten könne. Als schließlich ein großzügiger Spender 20.000 Pfund bereitstellte, konnte die LSE 1895 ihre Pforten öffnen und durfte ab 1901 als erste Hochschule in England sozialwissenschaftliche Grade verleihen. Politisch stand die LSE - trotz stets betonter Unabhängigkeit - lange der LabourParty nahe, arbeiteten gerade LSE-Dozenten an der Ausgestaltung des britischen Wohlfahrtssystems mit. In der Zeit des Dritten Reiches war es für die liberale LSE eine Verpflichtung, verfolgten Akademikern eine Heimat zu bieten.

Neoliberales Denken

Zu ihnen zählten unter anderem drei herausragende österreichische Wissenschaftler: der Kunsthistoriker Ernst Gombrich, der Philosoph Karl R. Popper sowie der Wirtschafts-Nobelpreisträger von 1974 Friedrich von Hayek, der seit den 1930er-Jahren eine Professur an der LSE innehatte. Mit Hayek machte sich ein neuer Geist in der LSE bemerkbar. Erstmals lehrte nun ein prominenter Vertreter des Anti-Interventionismus an der LSE, die sich unter Hayeks Einfluss für die neoliberale Wirtschaftsphilosophie öffnete und die Chance erkannte, durch Kooperation mit der Wirtschaft neue Finanzquellen zu erschließen. Die räumliche Nähe zur Regierung, zu Banken und Versicherungen der City ermöglichen bis heute den lebendigen Austausch zwischen Theoretikern und Praktikern. Jüngstes Beispiel ist ein von BP und der Deutschen Bank finanziertes Forschungszentrum für Risiko-Management. "Die Wirtschaft hat ein Interesse an Lösungsstrategien. Wir verstehen uns als wissenschaftliche Beratungseinrichtung und liefern das akademische Know-how. Abhängig werden wir dadurch nicht", erklärt LSE-Pressesprecherin Judith Higgin. Die LSE benötige das Geld, um die sinkenden staatlichen Zuschüsse kompensieren und ihre Position im Wettbewerb mit den reichen US-Universitäten behaupten zu können. Die Londoner wollen weiterhin hochkarätige Studenten wie früher John F. Kennedy und Romano Prodi oder die späteren Wirtschafts-Nobelpreisträger Sir John R. Hicks (1972), Amartya Sen (1998), Robert A. Mundell (1999) als Professoren an ihre Hochschule locken.

Heute gilt die LSE, an der von 6.000 Studenten etwa 50 Prozent Graduierte und der gleiche Anteil Ausländer sind, in England zwar als Paradebeispiel einer privatwirtschaftlich organisierten Hochschule, die nur ein Fünftel ihres 89 Millionen-Pfund-Budgets aus dem Staatsetat bezieht. Kritiker befürchten einen Niedergang des intellektuellen Niveaus und eine Verleugnung der sozialreformerischen Wurzeln. "Die LSE verkommt zu einer Business School", sagt auch der 30-jährige Deutsche Jobst Köhler, der 1996/97 an der LSE Politik studierte und mittlerweile in Oxford promoviert. Die im Vergleich zu anderen britischen Hochschulen hohen, im Vergleich zu den USA moderaten Studiengebühren für einen Masterkurs - knapp 6.300 Pfund zahlen EU-Bürger, bis zu 9.684 Pfund Nicht-Europäer - sieht Köhler als Teil einer Strategie, die vor allem reiche Studenten aus Übersee im Blick habe. Durch die Kommerzialisierung bestünde die Gefahr, dass Studenten nur wegen des Geldes genommen und Kurse jenseits des karriereorientierten "Mainstreams" abgebaut würden.

Namhafte Studenten

Wer die LSE als Karrieresprungbrett nutzen möchte, ist hier jedoch am richtigen Ort. Gerade deshalb hat beispielsweise der 27-jährige Deutsch-Pakistani Tariq Hussain seine akademischen Meriten in London erworben. Direkt nach dem Abitur ist er wegen der internationalen Atmosphäre an die LSE gegangen, wo er 1995 seinen Bachelor in Management machte. Heute arbeitet er für die Beratungsfirma Booz, Allen and Hamilton in Seoul. Beeindruckt hat ihn der starke Austausch mit Wirtschaft und Politik: "Alle ,big names' in Consulting und Investment-Banking haben die LSE auf der ,Target list'". Sir Geoffrey Owen, der ehemalige Herausgeber der Financial Times, gehörte zu seinen Dozenten, Studenten-Klubs luden Politiker und Top-Manager zu Vorträgen ein. Dafür, dass die LSE trotz privatwirtschaftlicher Organisation auch in Zukunft eine der anregendsten Universitäten Europas bleibt, soll der seit l997 amtierende Direktor Anthony Giddens sorgen. "Jenseits von rechts und links" heißt das Hauptwerk des renommierten Soziologen und Politikberaters.

Das klingt nach Blairs "New Labour" oder Schröders "neuer Mitte", was kein Zufall ist, stammen die neuen Politikkonzepte doch im wesentlichen aus der Feder des 63-jährigen Vordenkers der Globalisierungsdebatte. Was für die Politik des "dritten Weges" gilt, das soll nach Giddens für die LSE bedeuten, "jenseits von neoliberal oder sozialistisch" wieder ein "intellektuelles Kraftwerk" und ein "Labor der Sozialwissenschaften" zu werden.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung