Die Kulturhistorikerin Gabriele Sorgo über Askese und Konsum.
Die Furche: Jesus fastete bekanntlich vierzig Tage in der Wüste …
Gabriele Sorgo: … dabei gab es schon davor eine ausgeprägte Fastenkultur. Und danach: Die Wüstenväter der Spätantike etwa wurden für ihre widernatürliche Körperbeherrschung von den Menschen bewundert.
Die Furche: Wo liegen die Wurzeln des christlichen Fastens? Sind sie griechischen Ursprungs?
Sorgo: Maßhaltung ist ein zentrales Konzept - etwa der Stoa. Aber diese extreme Fastenkultur ist älter. Vermutet werden indische Einflüsse. Von Shiva wird erzählt, dass er die Welt anhalten konnte, wenn er abstinent lebte.
Die Furche: Ein Gott kann das vielleicht, ein fastender Mensch aber nicht.
Sorgo: Dennoch existiert auch im Christentum die Überzeugung, dass der Geist größer wird, wenn der Körper schrumpft.
Die Furche: Als Selbst-Übung hört sich das toll an. Doch es erinnert auch an christliche Körperfeindlichkeit …
Sorgo: Richtig. Doch man sollte in der Bewertung auch die soziale Funktion des Fastens berücksichtigen. Als von der Kirche institutionalisiertes Ritual half Fasten, Übergangsstadien bewusster zu durchleben. Früher wurde etwa auch vor Weihnachten oder vor einer Taufe gefastet.
Die Furche: Heute nehmen es die Menschen mit den Vorgaben der Kirche nicht mehr so genau. Trotzdem wollen derzeit laut einer Umfrage zwei Millionen Österreicher fasten. Ist das nicht paradox?
Sorgo: Einerseits ist das tatsächlich erstaunlich, weil in der heutigen Welt mit ihren vielen individuellen Lebensstilen mangelt es immer mehr an solchen kollektiven Ritualen - die natürlich durchaus ihren Sinn hätten.
Die Furche: Und andererseits?
Sorgo: Andererseits passt das Fasten in eine Leistungsgesellschaft. Denn es geht um Selbstbeherrschung - etwa die Kontrolle über einen schlanken Körper.
Die Furche: Aber es geht wohl auch um ein spirituelles Bedürfnis?
Sorgo: Ja, das ist der andere, positive Aspekt. Man entscheidet sich - freiwillig - für eine Auszeit von der Überflussgesellschaft. Und nach einer Woche Teetrinken lernt man wieder, wie ein Kipferl schmeckt.
Das Gespräch führte Thomas Mündle.