Nanopartikel: alles ganz unbedenklich?

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"Jeder Erwachsene atmet pro Tag mindestens 43 Millionen Nanoobjekte ein -bei sauberer Luft. In der Stadt sind es deutlich mehr, bedingt etwa durch Staub, Autoabgase und Bremsenabrieb."

Als Thema in der Öffentlichkeit spielen Nanotechnologien und Nanomaterialien ungefähr seit dem Jahr 1995 eine Rolle. Sie wurden als die neue Generation von Technologien und Materialien dargestellt, die viele Produkte unseres täglichen Lebens künftig schöner, effizienter, billiger, gesünder und einfach besser machen sollten. Weltweit wurden große Forschungsanstrengungen unternommen, um diesen Wissenschaftszweig, der sich in den Größenordnungen zwischen Mikrotechnologie und der Nutzung einzelner Moleküle bewegt, voranzubringen. Von selbstreinigenden Wandfarben, die Schmutz von Häuserfassaden abhalten, über ultrafeste Werkstoffe, die Windradflügel und Tennisschläger besonders stabil machen, bis hin zu medizinischen Anwendungen, mit denen sich Krebs früh diagnostizieren und effizient therapieren lässt, ist die Rede.

Die Hauptakteure auf dieser Bühne sind die Nanopartikel, gemäß der hier berücksichtigten DIN/ISO-Definition korrekt eigentlich "Nanoobjekte". In diesem Sinn sind Nanoobjekte "Materiestückchen", die in mindestens einer Dimension (Raumrichtung) zwischen einem und hundert Nanometer klein sind. Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter, das ist ca. ein 50.000stel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Nanometer-große Objekte kann das menschliche Auge nicht sehen, selbst die Vergrößerung durch ein normales Lichtmikroskop reicht nicht aus.

Umgeben von Nanoobjekten

Für eine Reihe von Anwendungen wurden positive Eigenschaften von Nanomaterialien bestätigt. Trotzdem meldeten sich auch Kritiker der Nanotechnologie zu Wort, denn die oben beschriebene Unsichtbarkeit wird von manchen Menschen als bedrohlich empfunden. Allerdings ist sie nichts Besonderes: Auch die uns umgebende Luft besteht normalerweise aus unsichtbaren Atomen und Molekülen, die wir einatmen. Und noch etwas wird in der allgemeinen Diskussion gerne vergessen: Wir sind ständig von Nanoobjekten umgeben. Selbst in sauberer Luft schwirren pro Kubikzentimeter mehr als 5000 Nanoobjekte natürlichen Ursprungs herum: Sand, Holzteile, Vulkanasche. Ja, sogar Sternenstaub trägt etwas zu der Menge an Teilchen bei und weil die Teilchen so klein sind, können sie sehr weite Strecken fliegen. Man hat schon Saharastaub auf Autos in Mitteleuropa gefunden. Auch in unserer Lunge kommt dieser dann an. Bedenkt man, dass jeder Erwachsene 12 bis 15 mal pro Minute je etwa einen halben Liter Luft ein-und ausatmet, macht das am Tag mindestens 43 Millionen eingeatmete Nanoobjekte -bei sauberer Luft! In der Stadt sind es deutlich mehr, unter anderem bedingt durch Autoabgase, Bremsenabrieb, Hausfeuerungen und aufgewirbeltem Staub.

Wenn Sie sich nun fragen, warum wir an dieser scheinbar irren Menge an Nanoobjekten nicht schon längst gestorben sind, heißt die simple Antwort: Wir sind daran gewöhnt. Unser Körper hat Barrieren und Abwehrmechanismen entwickelt, die Nanoobjekte entweder gar nicht erst in den Körper gelangen lassen oder dabei helfen, diese schnell wieder zu entsorgen. Den überwiegenden Teil an Nanoobjekten atmen wir gleich wieder aus. Einige gelangen aber dennoch in die Lunge und treffen dort auf die Lungenschleimhaut. Auch hier wird über verschiedene Mechanismen das meiste wieder aus dem Körper heraus transportiert. Mit abgehustetem Schleim oder mit dem Speichel gelangen Nanoobjekte auch in den Magen-Darm-Trakt. Dennoch bewältigen wir all dies ohne Probleme, weil unser Körper weitgehend erfolgreich damit ist, nur Verwertbares aus dem Magen, der Lunge oder über die Haut ins Blut zu lassen.

"Die Dosis macht das Gift"

Allerdings funktionieren diese Mechanismen-wie alles in der Natur -nicht mit hundertprozentiger Effizienz, einige Nanoobjekte gelangen trotzdem in die Blutbahn. Auch daran sind wir also evolutiv gewöhnt und daran angepasst, mit einer gewissen Menge an Nanoobjekten umzugehen. Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass das bis hier Beschriebene auch völlig ohne menschengemachte Nanoobjekte stattfindet.

Kritisch können Nanoobjekte für die menschliche -auch pflanzliche und tierische -Gesundheit werden, wenn die Nanoobjekte aus giftigen Materialen bestehen bzw. in außergewöhnlich hoher Konzentration vorkommen. Das auch heute noch gültige Grundprinzip der Toxikologie wurde von Paracelsus bereits vor mehr als 500 Jahren formuliert: "Die Dosis macht das Gift." Auch das Kochsalz, das auf dem Frühstücksei den Geschmack verbessert, kann in zu großer Menge tödlich sein. Ein wenig Staub in der Luft ist unkritisch, hingegen hat die Vulkanasche in Pompeji die Menschen ersticken lassen -neben anderen Todesarten.

Es gibt also zwei Aspekte, die man bei der Risikoanalyse für solche Materialien in Betracht ziehen muss: die Gefährdung durch einen Stoff (Ist etwas giftig und wie stark?) und die Exposition (Komme ich mit einem Stoff in Kontakt und mit wie viel?). Das gilt auch in der Nanosicherheitsforschung. Eine erste Risikoabschätzung für Nanomaterialien in Endverbraucher-Produkten kann so relativ einfach durchgeführt werden: In den üblichen dieser Produkte liegen keine freien, pulverförmigen Nanoobjekte vor, denn diese sind normalerweise in das Umgebungsmaterial (die "Matrix") eingebunden - etwa in Wandfarbe oder im Tennisschläger. Dann ist eine Exposition nicht gegeben und daher auch kein Risiko vorhanden.

Lunge als kritischster Eintrittspfad

Freie, pulverförmige Nanoobjekte werden als besonders kritisch angesehen, da Pulver stauben und die Nanoobjekte in die Lunge gelangen könnten, dem kritischsten Eintrittspfad in den menschlichen Körper. Die Toxikologie solcher freien Nanoobjekte wird in wissenschaftlichen Studien untersucht. Hier gibt es einige Hinweise auf mögliche Gefährdungen, zum Beispiel durch starre, nicht bio-abbaubare Nanofasern wie Kohlenstoffnanoröhrchen ("Carbon Nanotubes", CNTs), die als mechanische Verstärkung in Tennisschlägern oder Windradflügeln verwendet werden können. Wohlgemerkt: Im fertigen Produkt sind die CNTs mit Kunstharz fest zusammengeklebt, eine Exposition des Verbrauchers findet also nicht statt. An Arbeitsplätzen des produzierenden Gewerbes müssen aber gegebenenfalls Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

Meldungen, in denen etwa behauptet wird "Nano weicht Hirn auf", können meist schnell durch Fachleute widerlegt werden. Sie basieren häufig auf Studien, in denen Materialien untersucht werden, die in dieser Form nicht im täglichen Leben vorkommen. Oder es werden "mechanistische Studien" zitiert, deren Zweck es ist, einen biologischen Vorgang in Zellen oder Tieren im Labor zu untersuchen, ohne dabei zu berücksichtigen, ob dieser Vorgang für den Menschen überhaupt relevant ist und somit ein realistisches Risiko beschreibt. Dank internationaler Förderung der Forschung zur Sicherheit von Nanomaterialien gehören einige von ihnen heute zu den bestuntersuchten Materialien. Pro Jahr werden mehr als 4000 Artikel im Fachgebiet Toxikologie von Nanomaterialien publiziert. Fazit: Die großen Bedrohungen hat die Wissenschaft noch nicht gefunden.

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