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Wunderwaffe Kybernetik

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Ich habe mich bei verschiedenen Kybernetikern dadurch unbeliebt gemacht, daß ich ein Bonmot über die Kybernetik verbreite, welches bei der ersten Tagung der Association Internationale de Cybernetique in Namur un Jahre 1954 in zwei Versionen die Runde machte. Die eine charakterisiert den Kybernetiker als einen Fachmann, der nur während einer Kybernetiktagung Kybernetiker ist und sofort in sein klassisches Fach zurückfällt, wenn er zu Hause ankommt. Die zweite Version charakterisiert kybernetische Probleme als solche, die noch ungelöst sind, für die man keine rechte Lösung weiß und sie daher von einem anderen Fachgebiet erhofft. Sobald das Problem gelöst ist, hat es auch aufgehört, kybernetisch zu

sein: es gehört wieder seinem klassischen Fachgebiet an.

Diese Bonmots sind nicht so fitzend, wie sie klingen. Bei genauer Überlegung wird man zugeben müssen, daß sie einen wahren Kern der Kybernetik ins Licht stellen, der sie zu einem Gebiet ganz besonderer Art macht, zu einer dynamischen Metawissenschaft, die außerdem ideal hierher nach Alpbach paßt, weil sie die Grenzen herkömmlicher Fachgebiete und Unterrichtsmethoden sprengt. Aus diesem Grunde sollte man aber auch alles tun, um die Kybernetik vor der lhstitutdona-lisierung zu bewahren. Für mich persönlich ist die Vorstellung eines Diplomkybernetikers eine Sünde wider den Geist der Kybernetik. Tatsächlich hat ihr Gründer Norbert Wiener auch niemals ein Institut für Kybernetik gegründet, und er hat sich selbst bis zu seinem Tod als Mathematiker bezeichnet und nicht als Kybernetiker.

Was ist das also für eine eigenartige Wissenschaft, mit einem halb fremdklingenden, halb aber doch vertrauten griechischen Namen, die mit dem Kuckuck gemeinsam hat, daß ihre Eier in fremden Nestern ausgebrütet werden?

Mehr als ein Jahrzehnt lang war die Kybernetik nicht viel mehr als das Buch von Norbert Wiener, das auf Anregung eines ungewöhnlichen französischen Verlegers die Ergebnisse eines Arbeitskreises darstellte, der als Vorwegnahme der Alpbacher Methode angesehen werden muß. Mediziner, Mathematiker, Physiker und andere Fachleute diskutierten sich in Harvard in die weißen Flecke der wissenschaftlichen Landkarte hinein. Insbesondere die Übertragung mathematisch-technischer

Theorien auf die Biologie ergab faszinierende Erkenntnisse, und so kam es, daß der Regelkreis, der ja allen Regel- und Steuervorgängen zugrunde liegt, zum Symbol des interfakultativen Gedankenaustausches wurde und daß der Kyberne-tes, der Steuermann, zum Schutzheiligen dieser neuen Methode wurde.

„Control“ und „Communication“

Norbert Wiener war übrigens sehr skeptisch und erwartete sich keinen großen Erfolg von diesem Buch; von seiner Autobiographie und von seinen unter einem Pseudonym erschienenen Kriminalromanen erhoffte er sich einen weit größeren finanziellen Erfolg. Die Kybernetik schlug aber alles und wurde weit berühmter als die statistische Vorhersagetheorie, auf die Wiener so stolz war. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis von

Norbert Wieners Buch macht sofort deutlich, daß die Intentionen der Kybernetik weit über den Rück-kopplungskreis hinausreichen, und der Untertitel „Control and Commu-nioation in the Anima and the Machine“ ist eine schöpferische Mehrdeutigkeit, mit der das Schillern des Begriffes Kybernetik begann. Das Bindewort „and“ vor allem erlaubt nämlich sowohl die konjunktive als auch die disjunktive Deutung, und es kommt gleich zweimal vor. „Control“ und „Communi-oation“ sind im Englischen so vielschichtige Wörter, daß ihre Übersetzung nur einen schwachen Abglanz gibt. Der Inhalt des Buches ist allerdings sehr inhomogen, und ich gestehe, daß ich die „Cybernetics“ nach dem ersten Lesen im Jahre 1951 angeregt, aber unbefriedigt aus 3er Hand legte. Was mag die Kybernetik, so fragte ich mich schon iamals, wohl für eine Wissenschaft sein? Ich begab mich auf die Suche nach Greifbarem (damals war ich noch ein von Abstraktionen kaum angekränkelter Ingenieur). Und ich Eand drei technisch-logische Modelle: üe Schildkröte von Walter, die Maus von Shannon und den Homöostaten von Ashby. Wir bauten sie in Wien nach, und zum Teil haben wir sie auch später weiterentwickelt. An Ihnen ließ sich gut begreifen, welche Beziehungen zwischen Modell und Wirklichkeit bestehen. Die Kybernetik kann als Wissenschaft vom Modell definiert werden, und wieder erweist sie sich als Metawissenschaft.

Ich kann hier nicht auf die Geschichte der Kybernetik eingehen, auf den schlechten Ruf, den sie zu Recht und zu Unrecht erwarb und schließlich überwand, auf das Verschwinden und Wiederauftauchen des Wortes Kybernetik in den USA und auf die Auffassungswendung im

dialektischen Materialismus. Lassen Sie mich aber den heutigen Stand noch kurz im Überblick darlegen.

Wenn man sich in der gegenwärtigen Literatur umsieht, erscheint die Kybernetik als Metastruktur, deren Elemente zahlreiche naturwissenschaftliche Theorien sind; eine unnvollständige Aufzählung könnte die folgenden Namen umfassen:

• Informationstheorie,

• Regelungstheorie,

• Systemtheorie,

• Entscheidbarkeitstheorie,

• Automatentheorie,

• Theorie der Algorithmen,

• Formale Sprachtheorie,

• Theorie der Modelle,

• Theorie der Informationsverarbeitung.

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