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Wider die Landflucht
Die „Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft“ hat zur Frage der Landflucht in einer beachtenswerten Publikation Stellung genommen, die viele Voraussetzungen klarstellt und dadurch Möglichkeiten aufzeigt, die das Uebel mildern sollen.
Meines Erachtens Verdient aber bei der Beurteilung der Frage noch weiter beachtet zu werden: Die technischen Umstellungen im bäuerlichen Betrieb werden häufig viel zu langsam vorgenommen, besonders in allen extensiv betriebenen Wirtschaften, in denen sich die Landflucht am stärksten auswirkt.
Die Ursache liegt wohl in dem Umstand, daß die Einstellung des naturnotwendig konservativen Bauern, dessen Leben gleichmäßiger, weniger von außen kommenden störenden Einflüssen beeinflußt, verläuft, noch weit mehr als die des „Städters“ von den Eindrücken in der Jugend bestimmt wird. Da aber nun sein Leben im Beruf von der frühesten Jugend bis ins hohe Alter währt, also unverhältnismäßig lange, ist auch die Zeit, in der die Jugendeindrücke für die ganze Wirtschaftsführung maßgebend sind, verhältnismäßig groß.
Die erste Folge sind Störungen im Verhältnis zwischen dem am Bewährten hängenden Vater und dem für Neuerungen aufgeschlossenen Sohn, die zweite ein Zurückbleiben des wirtschaftlichen Erfolges. Die Stimmung auf dem Hof wird gedrückt und das Glücksgefühl, das den richtigen Bauern beim Anblick des von ihm geleiteten Werdens in der Natur erfüllt und in ihm den geldlichen Erfolg und die Lockungen der Stadt als unwichtig erscheinen läßt, schwindet. Das Verbleiben auf dem Hof erscheint nun nicht nur für den Sohn, später auch für die anderen Kinder und Mitarbeiter, schließlich auch für den Besitzer, nicht mehr als wünschenswert.
Dem müßte man entgegenwirken.
1. Die Uebergabe der Höfe in einem früheren Zeitpunkt soll begünstigt werden, etwa durch die Gewährung einer Altersrente und einer Herabsetzung der Uebertragungsgebühren.
2. Förderung der Mechanisierung der Land-, insbesondere auch der Land frauenarbeit.
3. Sicherung des Einkommens durch ein Preis und Absatz sicherndes Landwirtschaftsgesetz.
4. Förderung aller Selbsthilfemaßnahmen, insbesondere auf dem Gebiete des Kredit- und Genossenschaftswesens.
5. Verbesserung der Lage des Kleinbauern und Landarbeiters. Schaffung von Aufstiegs- und neuen Verdienstmöglichkeiten.
6. Vorsorgen für die „weichenden“ Geschwister, die nicht den väterlichen Hof übernehmen können, aber der Landwirtschaft treubleiben wollen (zum Beispiel durch Erleichterung der Uebernahme eines „auslaufenden“ Hofes gegen Zusicherung eines Ausgedinges an die kinderlosen Uebergeber).
7. Verbesserung der Lebenshaltung.
8. Ausgestaltung des Volks- und Fachschulunterrichtes mit besonderer Berücksichtigung der sittlichen Werte.
9. Hebung des Ansehens des Bauernstandes.
Diese und andere Maßnahmen können die unleidlichen Zustände beseitigen, zumindest erträglicher machen. Ohne Leistungssteigerung, ohne Besserstellung des Landarbeiters und ohne Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten ist kein Erfolg zu erwarten 1
Bei der Beurteilung der Frage Landflucht möge aber immer auch beachtet werden: In den Staaten mit dem größten Landarbeitermangel ist sie am höchsten entwickelt und leistungsfähig, weil dort der Mensch die den Gegebenheiten der Zeit entsprechenden Maßnahmen getroffen hat. In den „hungernden Agrarstaaten“ mit der dichtesten Landbevölkerung, wo es also keine Landvolkvertreibung gibt, wie in Indien und China, ist die Landwirtschaft am rückständigsten, am wenigsten leistungsfähig.
Noch eines. Goethe sagte zu Eckermann: „Unser Landvolk hat sich freilich fortwährend in guter Kraft erhalten und wird hoffentlich noch lange imstande sein, uns nicht allein gute Reiter zu liefern, sondern uns auch vor gänzlichem Verfall und Verderben sichern. Es ist als ein Depot zu betrachten, aus dem sich die Kräfte der sinkenden Menschheit immer wieder ergänzen und auffrischen.“
Größere Schwierigkeiten mögen sich vielleicht in der Versorgung jener Personen ergeben, die in der extensiv geführten Landwirtschaft, solange es sich vorwiegend nur um eine rein mechanische Betätigung handelt, gerade noch beschäftigt werden konnten, um so mehr, als ja auch in der Industrie und dem Gewerbe, Hand in Hand mit der fortschreitenden Mechanisierung, der „ungelernte“ Arbeiter immer mehr in den Hintergrund tritt.
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