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Bücher im Regenbogen

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Seit ihrem ersten Auftauchen in der Geschichte der modernen Diplomatie sind die sogenannten Farbbücher Kampfdokumente, mögen die Dokumenten Sammlungen nun einen blauen Umschlag, wie in England, einen weißen, wie in Deutschland, einen roten, wie in Österreich, einen grünen, wie in Italien, oder gar einen orangefarbenen, wie im zaristischen Rußland, tragen. In allen diesen oft sehr umfangreichen Aktenpublikationen m^cht eine Regierung der in- und vor allem ausländischen Umwelt einen „Standpunkt klar“. Nicht selten erscheinen solche Farbbücher am Vorabend politischer und militärischer Verwicklungen. Daß in ihnen mit Fleiß alle jene Fakten zusammengetragen werden, die der eigenen Position dienen, die zur Unterstützung des gegnerischen Standpunkts nützenden Dokumente aber entweder verschwiegen oder von vornherein widerlegt und angegriffen werden, erscheint vom Standpunkt der Diplomatie eines souveränen Staates aus durchaus berechtigt.

In Österreich aber ist in den letzten Monaten eine Anzahl von „Farbbüchern“ ausgearbeitet oder auch schon veroffentlic.it worden, die den Eindruck verstärkt, daß unser Staat nicht' einmal mehr wie bisher ein loses Bündnissystem von Interessentengruppen darstellt, sondern bereits auf dem besten Wege ist, sich gänzlich in ein reichlich dissonantes „Konzert“ voll-oder halbsouveräner „Ritterschaften und Freistädte“ zu verwandeln, deren Beziehungen untereinander zwar noch nicht den Reisigen, aber immerhin bereits den demarchierenden und Noten überreichenden Diplomaten übertragen worden sind. Dem Bundesobmann des ÖAAB gebührt das Verdienst, diesen nicht nur grotesken, sondern auch immer gefährlicher werdenden Spuk in einer geharnischten Erklärung wenigstens beim Namen genannt zu haben. Aber es stimmt bedenklich, daß sich nicht schon vor ihm ein Mann des öffentlichen Lebens fand, der höchst energisch dagegen protestierte, die berechtigten Wünsche der Gewerbetreibenden mit dem Etikett „schwarz“ versehen zu lassen, die Interessen von Millionen Arbeitnehmern unseres Landes aber mit der Parteifarbe „rot“ zu übermalen.

Die zur eigenen Entlastung sofort geltend gemachte Berufung der Ersteller solcher Farbbücher auf den sogenannten „Grünen Bericht“ der Landwirtschaft ist unberechtigt. Gerade die seit Jahren mit dieser Arbeit Befaßten waren mit Erfolg bemüht, die Landwirtschaftsprobleme eben nicht als Interessen eines Standes anzusehen, sondern sie in den größeren Zusammenhang des Gesellschaftsganzen hineinzustellen. Zudem spielt beim Existenzkampf des Bauerntums nicht nur in Österreich die Entwicklung des Europamarktes eine so maßgebliche Rolle, daß hier wirklich von einer außergewöhnlichen Situation gesprochen werden kann, die nur durch eine weitgreifende Gesamtplanung zu bewältigen sein wird.

Zeigt sich in der trägen, zuweilen sogar wohlgefällig grinsenden Hinnahme solcher vereinfachender Parolen nicht vielleicht deutlicher als irgendwo anders das zähe Weiterleben vermeintlicher „Wirklichkeitsbilder“, die besonders in Kreisen der ersten Regierungspartei gehegt werden, wo man etwa die Festwochen der Bundeshauptstadt als „rotes Theater“, die Bundestheater aber als „schwarze Domäne“ ansieht, wo man der für die Volkspartei geradezu selbstmörderischen Milchmädchenweisheit huldigt, daß die ÖVP für die Bauern- und Gewerbeinteressen, die Sozialisten aber für die Arbeiterund Angestellteninteressen zuständig seien?

Die Sozialisten haben in diesen Tagen mit einem sehr lauten, wenn auch nicht ganz tonreinen Fanfarenstoß dafür gesorgt, daß die letzten Sommerschläfer aus der idyllischen Betrachtung des Farbbücherspektrums .erwachten. Sie haben die Rentenfrage in sehr konkreter Form zur Diskussion gestellt. Sie eignet sjch, wenn überhaupt, dann nur zum Farbanstrich des grauen Elends. Der Vizekanzler hat einen konkreten Plan vorgelegt, dessen einzelne Punkte zwar zur Diskussion herausfordern (besonders, was etwa die angesichts der immer steigenden Lebenserwartung nicht unbedenkliche Vorverlegung des Rentenalters und die von Jahr zu Jahr übergewichtigere Verlagerung des Gleichgewichts zwischen Arbeitenden und Nichtarbeitenden betrifft, auf dem ja jede Sozialversicherung beruht), dessen konkrete Kostendek-kung wie so oft bei sozialistischen Vorschlägen fehlt, der aber nichtsdestoweniger eine politisch* Realität darstellt, die niemand aus der Welt schaffen kann noch soll.

Wer immer sich nun in der Volkspartei der Illusion hingeben sollte, diesem „grauen“ Bericht ein anderes Farbbuch, etwa in der Farbe des Rosarot oder des unverbindlichen Lila entgegensetzen zu können, wird schon sehr bald Schiffbruch erleiden. Diese Auseinandersetzung kann nicht mehr aus schwarzen und roten Trutzburgen heraus geführt werden, sie vollzieht sich auf offenem Kampfplatz. Millionen elementar beteiligter Staatsbürger, zu denen nicht nur die Rentner, sondern auch deren Angehörige zählen, werden bald nicht mehr nur in steigendem Maß interessierte Zuschauer, sondern Kombattanten sein, deren Wählerstimmen wesentlich mehr entscheiden können als die Stimmzettel dieser und jener Grüppchen, um die man mit Farbbüchern aller möglichen Couleur seit neuestem zu buhlen pflegt. Die der ersten Regierungspartei freundschaftlich-kritisch gegenüberstehende katholische Öffentlichkeit hat mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß sich gerade am Tag der Pittermannschen Planveröffentlichung in der Bundesparteileitung der ÖVP jener an sich schon seit Jahren fällig gewesene sozialpolitische Ausschuß konstituierte, dem die Hauptarbeit der nächsten Monate zufallen wird.

Die Namen sowohl seines Vorsitzenden, des dem engsten Mitarbeiterkreis der „Furche“ angehörenden Universitätsdozenten Dr. Anton Burghardt, als auch des von der Partei selbst gleichsam als Durchführungsbeauftragten nominierten Abgeordneten Dr. Karl Kummer, der ebenfalls zu den unserem Blatt und seinen Zielen verbundenen katholischen Mandataren zählt, geben uns fürs erste die Gewähr, daß man sich dort nicht mit einer defensiven „Beantwortung“ des sozialistischen Rentenplanes vom „schwarzen“ Standpunkt aus befassen wird, sondern mit der Sache selbst, mit den Menschen, um deren Lebensabend es geht, und denen die Farbschleife ihres Rentenbetrags aber schon ganz gleichgültig ist.

Wir sagen ausdrücklich: fürs erste. Mit der Bildung eines Ausschusses, so fähig und arbeitswillig auch seine Mitglieder sein mögen, ist es allein nämlich nicht getan. Er kann unter Umständen auch nur eine schön bemalte Kulisse darstellen. Wichtiger ist, daß die von diesem Ausschuß erarbeiteten Vorschläge auch an die für das Partei- und Regierungshandeln zuständigen Instanzen gelangen und an Stelle der ominösen Farbbücher auf gewissen Schreib- und Konferenztischen landen!

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