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Frühjahrsmesse, leicht sakral
„Ich wollte schon immer Kirchenmusik der einen oder anderen Form schreiben, und ich dachte an einen ökumenischen Gottesdienst, der die Elemente verschiedener Religionen und Sekten verbindet, an Religionen des Altertums und an Stammesglauben“: Leonard Bernstein, Amerikas erfolgreichster Komponist, hat seine Idee für „Mass“ lange mit sich herumgetragen. Immer wieder notierte er neue Einfälle, immer wieder verwarf er Konzepte. Und als ihn ein Kritiker des „High Fidelity Magazine“ fragte, wie „Mass“ eigentlich zustande gekommen sei, meinte er: „Sie überrumpeln mich, wo soll ich da überhaupt anfangen!“
Eine Form bekamen diese Vorstellungen einer Messe erst, als Jacqueline Onassis-Kennedy ihn bat, ein Werk zur Erinnerung an ihren verstorbenen Mann, Präsident Kennedy, zu schreiben. „Daß die Form der katholischen Messe schließlich zum Rückgrat meiner Komposition wurde - unbewußt vielleicht -, muß wohl etwas mit den Kennedys zu tun gehabt haben“ erinnerte sich später „Lennie“. „Aber die verschiedenen Aspekte des Katholizismus haben mich immer sehr beschäftigt, die Frage, was ihn mit dem jüdischen Glauben verbindet und was ihn davon trennt ebenso wie die Verbindungen mit anderen Religionen.“
Am 16. Februar hat nun Leonard Bernsteins „Mass“, die 1973 bereits als Gastspiel im Wiener Konzerthaus zu sehen war, in der Wiener Staatsoper Premiere. Maurice Peress, der das Werk zur Eröffnung des Kennedy-Centers in Washington, am 8. September 1971, dirigierte, wird auch in Wien am Pult der Philharmoniker stehen. Wolfgang Weber inszeniert dieses merkwür
dige „Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“, für das Bernstein mit Stephen Schwartz die Texte aus Elementen der römisch-katholischen Messe aufbereitete. Staatsopern- Chefdramaturg Marcel Prawy feilte gemeinsam mit Bernstein an der deutschen Textfassung.
William Milié gestaltete die Ritual- Choreographie, Günther Schneider- Siemssen das Bühnenbild, Inge Justin die Kostüme. Und der Riesenapparat, der dieses Monsterspektakel möglich macht, wurde von überall zusammengeholt: aus den Ensembles von Staatsund Volksoper, aus New Yorks Alvin Ailey Dance Theatre, aus der Wiener Hochschule für Musik, aus dem Konservatorium der Stadt Wien, von den Wiener Sängerknaben, dem Bläserensemble der Grazer Musikhochschule, und vielen anderen Bands. „Lennie“ wird jedenfalls dabei sein, wenn damit in Wien ein einwöchiges Bernstein-Fest beginnt.
Bernstein hat keine Messe geschrieben, die er in einer Kirche aufgeführt wissen will: „Ich habe nie ein streng religiöses Werk ins Auge gefaßt, obwohl sich die .Messe* in gewissem Sinne als ebenso religiös erwies wie meine ,Kad- dish'-Symphonie, abgesehen davon, daß die Messe ein Werk fürs Theater ist. Ich halte sowohl die .Kaddish'- Symphonie als auch die .Mass* für wesentlich religiöse Aussagen, jedoch nicht für Werke, die im Zusammenhang mit einer religiösen Handlung aufgeführt werden sollen!“
Bernstein hat dieses religiöse Theaterstück „Mass“ stets als Höhepunkt in seinem Schaffen gesehen: „Ich habe mein ganzes Leben lang daran geschrieben“ gestand er einmal. „Vielleicht ent
hält das Werk deshalb soviele musikalische Stilarten, soviele Ausdrucksformen; vielleicht hat es auch deshalb ein solches Nebeneinander von Wegen ermöglicht.“ Bernstein, der seinem eigenen Schaffen gegenüber so kritisch wachsame Komponist, der auch jeden geschriebenen Takt aus der Sicht des Dirigenten beurteilt, machte sich wegen dieses Eklektizismus lange Sorgen. Aber gerade dieser Eklektizismus, die Verschränkung von sovielen Stilelementen in musikalischen und theatralischen Bereichen macht die Eigenart des Werkes aus.
„Mass“ zeigt, was in einem Menschen während der Messe vorgehen kann. Das Thema: Woran wir in unserem Zeitalter der Grausamkeit glauben .. . Der Widerspruch zwischen bedingungsloser Gläubigkeit - sie darzustellen, ist die Aufgabe der klassischen Musik - und einer fast heidnischen Orgie des Protestes, der durch Blues und Rock symbolisiert wird. Am Schluß steht die Erlösung in einer Apotheose des Glaubens.
Zentralfigur dieses fast barock-symbolischen Musikspektakels ist die Figur des Zelebranten. Fragt man Bernstein, was ihm diese Figur bedeutet, wird sogar er unsicher: „Ich habe gelesen, er sei alles von Jedermann bis Christus, von einem einfachen Priester bis zum Repräsentanten der Jugend . .. Ich habe aber nie an ein bestimmtes Wesen gedacht. Für mich bedeutete er immer ein Element im Menschen, ohne das man nicht leben kann. Der Zelebrant stellt die Qualität dar, die das Leben lebenswert macht. In ihm überschneiden sich die Begriffe Glaube, Hoffnung, Erwartung.“
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