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Oper muß kein Museumsstück sein

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Ort der Handlung: Minoritenplatz, in einem der schönen Sitzungssäle des Unterrichtsministeriums. Zeit: Vor etwa 20 oder 25 Jahren. Beratung der Jury über die Zuerkennung des Großen österreichischen Staatspreises für Musik. Schon in den ersten Minuten fällt der Name Ernst Krenek. Zustimmung von mehreren Seiten. Aber der die Sitzung leitende Ministerialrat belehrt die Juroren: der österreichische Staatspreis könne nur einem österreichischen Staatsbürger verliehen werden, und Krenek sei Amerikaner. Worauf ich mir die Frage erlaubte: wo denn da die Logik bleibe? Krenek hat 1938 freiwillig (nicht als rassisch Verfolgter) seine Heimat verlassen. Er hatte sich zur Ersten Republik in zahlreichen Artikeln in der „Wiener Zeitung“ und in Vorträgen bekannt und war eine Art Ideologe des christlichen • Staatswesens. — Dann, als Österreich wieder frei war, hat man es versäumt, ihn zur Rückkehr einzuladen und ihm das Amt des Präsidenten der Akademie für Musik oder zumindest das eines Kömpositionslehrers anzubieten. Und zur Strafe gewissermaßen für dieses Versäumnis bekommt er jetzt auch keinen Staatspreis. Zugleich teilte ich mit, daß ich mich bei allen weiteren Abstimmungen des Votums enthalten würde, da ich mich einer solchen Argumentation nicht gewachsen fühle. (Ich war zum ersten und letzten Mal in dieser Jury...)

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Ort der Handlung: Minoritenplatz, in einem der schönen Sitzungssäle des Unterrichtsministeriums. Zeit: Vor etwa 20 oder 25 Jahren. Beratung der Jury über die Zuerkennung des Großen österreichischen Staatspreises für Musik. Schon in den ersten Minuten fällt der Name Ernst Krenek. Zustimmung von mehreren Seiten. Aber der die Sitzung leitende Ministerialrat belehrt die Juroren: der österreichische Staatspreis könne nur einem österreichischen Staatsbürger verliehen werden, und Krenek sei Amerikaner. Worauf ich mir die Frage erlaubte: wo denn da die Logik bleibe? Krenek hat 1938 freiwillig (nicht als rassisch Verfolgter) seine Heimat verlassen. Er hatte sich zur Ersten Republik in zahlreichen Artikeln in der „Wiener Zeitung“ und in Vorträgen bekannt und war eine Art Ideologe des christlichen • Staatswesens. — Dann, als Österreich wieder frei war, hat man es versäumt, ihn zur Rückkehr einzuladen und ihm das Amt des Präsidenten der Akademie für Musik oder zumindest das eines Kömpositionslehrers anzubieten. Und zur Strafe gewissermaßen für dieses Versäumnis bekommt er jetzt auch keinen Staatspreis. Zugleich teilte ich mit, daß ich mich bei allen weiteren Abstimmungen des Votums enthalten würde, da ich mich einer solchen Argumentation nicht gewachsen fühle. (Ich war zum ersten und letzten Mal in dieser Jury...)

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Es gibt Werke, die ihrem Schöpfer zum Schicksal werden. Als zu Beginn des Jahres 1927 vom Stadttheater in Leipzig die Oper „Jonny spielt auf herausgebracht wurde und dann, in den folgenden zwei Jahren, an mehr als 100 europäischen Bühnen, zum Teil en suite, gespielt wurde, galt ihr Autor als einer der Führer der musikalischen Avantgarde. Krenek hielt damals etwa bei op. 50 und war bereits dreimal (1923, 1924 und 1925) bei den Musikfesten in Donaueschingen aufgeführt worden. Und es wirkt wie ein Symbol, daß sein erstes Bühnenwerk, „Zwingburg“, im Todesjahr Busonis uraufgeführt wurde, der eine neue Ästhetik der Tonkunst begründete. Viel zu anspruchsvoll und eigensinnig, um fertige Stücke zu vertonen, ha^te sich Krenek die Texte zu seinen Opern — auf „Jonny“ folgten bald die drei Einakter „Der Diktator“, „Das geheime Königreich“ und „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“ — selbst geschrieben. „Jonny spielt auf“ lag durchaus auf der Linie früherer und späterer Bühnenwerke des Komponisten Krenek.

Hier wie in anderen Opern ging es ihm um die Idee der Freiheit, als deren Symbol Amerika erscheint: Fülle des Lebens, optimistische Bejahung, Hingegebenheit an das Glück des Augenblicks, Freiheit von Grübelei und Intellektualismus. Als Assistent Paul Bekkers am Opernhaus in Kassel hatte der 25jährige den Apparat der Bühne und seine Möglichkeiten kennengelernt, deren er sich in seinem neuen Werk virtuos und spielerisch bediente. Die Gestalt seines Helden, des Jazzbandgeigers Jonny, bedingte die reichliche Verwendung von Jazzelementen in der Partitur — und diese in erster Linie den Welterfolg. Durch diesen aber gerieten die Fachkritik und Kreneks bisherige Freunde in Verwirrung — und er selbst in eine schiefe Situation. Galt er den einen als hartgesottener Zyniker, der es darauf angelegt hatte, die Sensationslust der Massen auszubeuten, um rasch reich zu werden, und der die Sache der ernsten Musik verraten hatte, so erwarteten andere von ihm sensationelle Schlager im gleichen Stil. Der Komponist selbst aber hatte den Eindruck, daß durch den Erfolg von „Jonny“ alles, was er bisher an Rang und Ansehen erreicht hatte, zunichte gemacht worden war. So fand sich Krenek, nachdem er gewissermaßen ein reicher Mann geworden war, zum ersten Mal als Künstler zwischen sämtlichen herumstehenden Stühlen sitzend...

Drei Jahre später geriet Krenek auch in eine musikalische Krise. Die Arbeiten seiner „romantischen Periode“, zu denen auch das „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ zählt, waren einigermaßen erfolgreich, konnten aber nicht mit den Werken jener Komponisten konkurieren, die das traditionelle Material viel unbedenklicher und populärer handhabten. Den Modemisten galten seine Werke als Kuriosa eines ehemals fortschrittlichen Komponisten. Diese Krise drängte zu einer radikalen Entscheidung. In jener Zeit lebte Ernst Krenek nach längerem Auslandsaufenthalt wieder in Wien, in materieller Hinsicht in wünschenswerter Unabhängigkeit, aber als Mensch und Künstler völlig isoliert. Gern hätte er manche seiner immer noch zahlreichen Aufführungen in Deutschland für einen einzigen Erfolg in Wien gegeben. Aber die Beziehungen zur Stadt seiner Herkunft nahmen immer entschiedener den Charakter unerwiderter Liebe an. In dieser Situation wirkte ein Vorschlag des damaligen Opernchefs Clemens Krauss, für die Wiener Staatsoper ein größeres Werk zu schreiben, elektrisierend. Der Stoff war bald gefunden: ein ganzes Jahr lang widmete sich Krenek, der sich sein Textbuch natürlich wieder selbst schreiben wollte, in der Nationalbibliothek der Geschichte Karls V. Mit diesem Text hatte es auch noch eine besondere Bewandtnis. Hören wir darüber den Autor:

„Als Theaterstück hatte ,Karl V.' mehr und deutlicher politische Bedeutung als alles, was ich bis dahin geschrieben hatte. Seit meiner ersten Oper, .Zwingburg' hatte ich in fast allen meinen Theaterwerken an die politische Sphäre gerührt. In ,Karl V.' nahm ich ausdrückliche Stellung zu politischen Problemen, indem ich den Universalismus des mittelalterlichen katholischen Reiches pries gegenüber den zersetzenden Kräften des Nationalismus, Materialismus und religiöser Gleichgültigkeit. Obgleich mein Text vor Hitlers Machtergreifung im Jahre 1933 vollendet vorlag hatte das Stück eine ausgesprochen antinationalsozialistische Tendenz. Es sprach manche von den Grundsätzen aus, die sich die österreichische Regierung später als geistiges Verteidigungssystem gegen die Nazis zueigen machte. ... Für mich war Österreich der letzte Rest des alten universalen, übernationalen Reiches, und seine politische Seele war unnationalistisch ... Manche dieser Ideen wurden von der Dollfuß-Regierung als die neue Philosophie Österreichs promulgiert, als Hitler Deutschland übernahm und Österreich von Tag zu Tag zu überrennen drohte. Diese neue Philosophie schloß traditionell und theoretisch eine stark katholische Orientierung ein. Im Laufe der vorangehenden Jahre hatte ich mich mehr und mehr für religiöse Probleme interessiert und war, nach einer Periode der Entfremdung, schrittweise zur römisch-katholischen Kirche, in der ich geboren und aufgewachsen war, zurückgekehrt. Ich fühlte, daß die Zeit für meinen aktiven Beitrag zum Leben und zur Kultur Österreichs gekommen war. Mein Land war in einer verzweifelten Lage, in seiner Existenz bedroht. Die fortschrittlichen Elemente waren größtenteils skeptisch gegen den neuen politischen Kurs, der ihnen als Fascismus aus zweiter Hand, .gemildert durch Schlamperei', erschien. Ich war fast der einzige Musiker von internationalem Ruf und nennenswerter Schaffenskraft, der die Wiedergeburt der Tradition des alten übernationalen Reiches aus dem Geist katholischer Christlichkeit unterstützte. In ,Karl V.' hatte ich ein Werk von monumentalen Dimensionen geschaffen, das wie kein zweites die Philosophie der Regierung ausdrückte...“

Als Musiker entschließt sich Krenek gleichfalls zu einem radikalen Schritt. Er fühlt, daß seine „romantische Periode“ zu Ende ist. Das gründliche Studium der Werke von Schönberg, Berg und Webern, die ihn schon früher durch ihre Stilreinheit anzogen, deren Ausdrucksmöglichkeiten ihm aber noch nicht klar geworden waren, machen aus einem Saulus (der zur Zeit des „Jonny“ in einem Vortrag gegen die Zwölftonmusik polemisiert hatte) einen Paulus. Nach langen reiflichen Überlegungen und gründlicher Gewissenserforschung beschließt Krenek, sich der Zwölftonmusik zu verschreiben. Er erlernt eine neue musikalische Sprache, der erfolgreiche Jonny-Komponist setzt sich selbst noch einmal in einen Elementarkurs für Komposition und zwingt sich zu einer Arbeit von entmutigender Schwierigkeit, deren langsamer Fortschritt ihm wie das Aushacken eines Pfades durch ein dürres dorniges Gestrüpp vorkommt...

Aber — seine Zähigkeit ist größer. Das Werk, 1930 begonnen, wird 1933 vollendet — und bleibt in Wien un-aufgeführt. Die Gründe hiefür sind wahrscheinlich nicht nur in politischen Kabalen und Machenschaften zu suchen, die Krenek — auch heute noch — für den Abbruch der Proben unter Clemens Kraugs verantwortlich macht. Sie .mögen mitgespielt und Krenek mag recht haben, wenn er sich von jenen verlassen fühlte, die er als seine Freunde und Gesinnungsgenossen ansah. Wer aber die Partitur von „Karl V.“ kennt, weiß, welche enorme Schwierigkeiten dieses Werk damals seiner musikalischen und szenischen Realisierung entgegensetzte (Heute sind wir härtere Nüsse zu knacken gewohnt!). Die Uraufführung erfolgte bald nach der Vollendung der Partitur in Prag. Inzwischen ist viel Wasser die Seine, den Rhein und auch die Donau hinuntergeflossen, und es bewahrheitete sich, was Krenek einmal in einem Gespräch, halb scherzend, sagte: Man möge eine Partitur, die unmittelbar nach ihrer Entstehung von den Musikern für unspielbar erklärt wird und keinem zeitgenössischen Publikum zugemutet werden könne, in“ einen Safe legen und sie nach dreißig Jahren wieder herausholen: jetzt könne sie jedes mittlere Orchester anstandslos spielen und jedes halbwegs aufgeschlossene Publikum werde die Musik akzeptieren. So geschah's mit Kreneks „Karl V.“. Man spielte ihn nach 1945 in einer leicht überarbeiteten Fassung in Essen, Düsseldorf, München, Graz, Zürich und Aachen — aber noch immer nicht an der Wiener Staatsoper, für die er seinerzeit geschrieben worden war.. ;

Erst 20 Jahre später schrieb Krenek seine dritte abendfüllende Oper: „Pallas Athene weint“. Das vom Komponisten verfaßte Textbuch kann ebenfalls, wie das zu „Karl V.“, als „politisch“ bezeichnet werden: Es behandelt den Untergang der Demokratie in Athen nach dem pelopon-nesischen Krieg. Wir hörten die österreichische Erstaufführung in Linz, in Wien bisher nur den konzertanten Prolog, von dem die Oper ihren Namen hat: im Elysium hören die Schatten der Verstorbenen einen ungeheuren Klagelaut; es ist Pallas Athene, die um das Ende der von ihr gestifteten Burg weint, wo viele Jahre die Freiheit wohnte und die jetzt in hoffnungslosem Kämpf gegen den Despotismus Spartas steht. — Das große Werk machte auf alle, die es damals hörten, einen sehr starken, überzeugenden Eindruck. Natürlich auch dank des vorzüglichen Textes, aber auch durch die wirkungsvollen;

meisterhaft gesetzten dramatischen Chöre und die zwar schwierigen, aber ausdrucksstarken Soli.

Und wieder 10 Jahre später, also 1963, schrieb Krenek für die Hamburger Staatsoper „Der goldene Bock“ auf einen gleichfalls selbstverfaßten, besonders kühnen phantastisch-surrealistischen Text, der mit den Gestalten und Motiven der Argonautensage recht frei und nicht ohne Humor umspringt, was ihre Lokalisierung in Raum und Zeit betrifft. Raum und Zeit — das sind Begriffe, die auch die Struktur mehrer anderer seiner Kompositionen bestimmen. — Und damit sind wir zwar nicht am Ende dieser Würdigung, wohl aber des uns zur Verfügung stehenden Raumes angelangt. Denn Kreneks Werkkatalog umfaßt weit über 200 Nummern (bei op. 96 hörte er auf, Opuszahlen anzugeben. Bis 195 numerierte sein Biograph Lothar Knessl in der Reihe „Österreichische Komponisten des 20. Jahrhunderts“).

Zuletzt hat sich Krenek viel mit serieller Musik und mit Aleatorik beschäftigt. Vor allem aber gehört sein Interesse der elektronischen Musik. — Doch hierüber wird, im Laufe des 75. Lebnsjahres von Krenek, ein mit seinem Spätwerk bestens Vertrauter Musikologe berichten. — Übrigens hat Krenek an einem guten halben Dutzend , amerikanischer Universitäten und Colleges unterrichtet — und er hat 1963 den Großen Österreichischen Staatspreis doch noch erhalten — obwohl er, unseres Wissens, amerikanischer Staatsbürger mit ständigem Wohnsitz in Palmsprings (California) geblieben ist. — Alljährlich, mindestens einmal, kommt Krenek auf „Tournee“ nach Europa, um Aufführungen seiner Werke beizuwohnen oder diese selbst zu dirigieren. So auch heuer wieder, im September. Er hat fürs heimische Fernsehen gearbeitet und vor einigen Jahren eine neue Musik zu der seinerzeit lebhaft diskutierten Salzburger „Jedermann“ - Iszenierung durch Gottfried Reinhardt komponiert. — Vom Hörfunk und von unseren Konzertveranstaltungen wird sein Werk leider arg vernachlässigt. Denn er gehörte — und gehört — nicht zu jenen, die bitten gehen ...

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