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Die Unreditsartikel der Schweiz

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Dem Beitritt der Schweiz zur Menschenrechtskonvention stehen verschiedene Hindernisse im Weg. Die markantesten sind das fehlende Frauenstimmrecht und die sogenannten konfessionellen Ausnahmeartikel der Bundesverfassung. Was das Frauenstimmrecht anbelangt, so deutet die Entwicklung auf eine schrittweise Ausmerzung dieses Unrechts hin. Mehrere Kantone haben für kantonale Angelegenheiten den Frauen bereits das ihnen zustehende Recht gewährt, anderswo ist die Korrektur wenigstens auf der Ebene der Gemeinde durchgeführt, und die schweizerische Tradition will ja das „organische Wachstum“ von der Gemeinde über den Kanton zum Bund. Es ist eine Entwicklung, die lange, ja allzulange dauert, jetzt aber doch Erfolg verspricht.

Anders verhält es sich mit den konfessionellen Ausnahmeartikeln der- Bundesverfassung. Sie lauten: „Artikel 51: Der Orden der Jesuiten und die ihm affilierten Gesellschaften dürfen in keinem Teile der Schweiz Aufnahme finden, und es ist ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt. —

Dieses Verbot kann durch Bundesbeschluß auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden, deren Wirksamkeit staatsgefährlich ist oder den Frieden der Konfessionen stört.“ „Artikel 52: Die Errichtung neuer und die Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden ist unzulässig.“

Die Jesuitenfrage geht in der Schweiz auf die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts zurück. In Wirklichkeit galt der Kampf nicht nur dem Jesuitenorden, sondern der katholischen Kirche an sich. 1334 stimmten die damals von den sogenannten „Radikalen“ geführten Kantone 14 Punkten bei, die die staatliche Oberaufsicht über kirchliche Synoden, kirchliche Bullen und Erlässe und kirchliche Schulen etablierte. Papst Gregor XVL verurteilte in einer eigenen Bulle diese „Badener Artikel“ — allerdings ohne Erfolg.

Zahlreiche katholische Schulen wurden geschlossen, Klöster aufgehoben, und die Berner Regierung ließ gegen den sich zur Wehr setzenden katholischen Kantonsteil Truppen aufmarschieren. Im Kanton Aargau, den ehemals habsburgischen Stammlan- den, kam es zu einem gewalttätigen Klostersturm.

All diese Unruhen stellten den Hintergrund dar, vor dem die Jesuitenfrage zur wirklichen Frage wurde. Trotzdem verzichtete man 1848, als sich die Schweiz vom Staatenbund zum Bundesstaat wandelte und demgemäß eine Bundesverfassung annahm, zunächst auf einen formellen Antrag zum Verbot der Jesuiten. Jetzt, da man in ganz Europa Regierungen und Fürsten entthrone, müsse man auch in der Schweiz etwas entthronen, hieß es. Und so kam denn in der Detailberatung über den Verfassungsentwurf der Vorschlag zu einem „ewigen Verbot der Einführung des Jesuitenordens, unter welcher Form und Gestalt er sich auch verhüllen mag“, auf. Und dabei blieb es bis zur heutigen Stunde. Wenn das Problem gegenwärtig wieder höchst aktuell wurde, so sind dafür zwei Gründe maßgebend: Erstens die Debatte um den bereits erwähnten Beitritt der Schweiz zur Menschenrechtskonvention und zweitens ein Rechtsgutachten, das in diesen Tagen der Öffentlichkeit vorgelegt wurde. Es stammt vom Zürcher Staatsrechtler Professor Dr. Werner Kägi, der es im Auftrage der Regierung nach einem entsprechenden parlamentarischen Vorstoß verfaßt hat.

Professor Kägi vertritt die Auffassung, das Jesuiteinverbot widerspreche der Gerechtigkeit, da „nicht nachgewiesen werden kann, daß die fclöster und Orden und insbesondere die Jesuiten heute die staatliche Ordnung gefährden oder den konfessionellen Frieden stören“. Der Gutachter geht noch einen Schritt weiter, indem er die beiden Verfas- sungsartikel als rechtswidrig und rechtsstaatswidrig bezeichnet. Schließlich bestreitet er diesen Artikeln, die ursprünglich zum Schutze des konfessionellen Friedens in die Verfassung aufgenommen wurden, die „politische Zweckmäßigkeit“, denn sie seien öfters „zu einer Quelle des Malaise, ja der Verbitterung“ geworden.

Professor Kägi zählt dann in seiner Expertise die Möglichkeiten auf, die zu einer Korrektur führen könnten — von der „weitherzigen Praxis“ bis zur eigentlichen Revision, und er kommt zum Schluß, daß nur eine Verfassungsrevision in Frage komme. Das aber bedingt nach schweizerischem Recht eine Volksabstimmung, und es ist leider zu bezweifeln, ob sich für diese Forderung der Gerechtigkeit eine Mehrheit finden läßt. Natürlich ist ein großer Teil des Schweizer Volkes der Auffassung, das Jesuiten verbot sei falsch oder zum mindesten überholt. Es gibt aber immer noch Ressentiments und Animositäten, die vorläufig in der

Öffentlichkeit noch wenig auftauchen, die aber wirksam werden könnten, wenn es gilt, den Stimmzettel einzuwerfen. Die Gründe sind vielfältig und oft widersprechend. Solange die katholische Kirche in der Mischehenfrage nicht toleranter wende, soll man ihr nicht mit der Aufhebung des Jesuitenverbotes entgegenkommen, meinen einzelne. Die Jesuiten seien auch heute noch, was sie immer waren, nämlich eine aggressive Stoßtruppe des Papstes. Es gibt aber auch katholische Kreise, die für die Beibehaltung des Verbotes sind. Erzkonservative Katholiken betrachten die Jesuiten als „Progres- siisten“ — vor allem nach gewissen jesuitischen Vorstößen in der „Pillenfrage“ — und wollen sie deshalb nicht hereinlassen. Zum Teil spielt auch noch eine gewisse „Kpnkur- renzangist“ eine Rolle, denn die Jesuiten würden vermutlich eigene Schulen gründen und dadurch andere Klosterschulen konkurrenzieren.

So werden also diese konfessionellen Ausnahmeartikel wiederum zu einem Prüfstein der schweizerischen Referendumsdemokratie. Hier ergibt sich das gleiche Schauspiel wie in der Frage des Frauenstimmrechtes und im Problem des Beitritts der Schweiz zur UNO. Minister, Parteiführer und Parlamentarier sind mehrheitlich dafür, aber all diese Entscheide können erst getroffen werden, wenn die zähe Masse des Volkes ebenfalls fortschrittlich geworden ist. Darauf zu warten, bedeutet aber eine Geduldsprobe sondergleichen, und inzwischen bleibt das Unrecht eben bestehen.

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