Medizin - © Foto: iStock/skynesher ; Illustration: Rainer Messerklinger

Gendermedizin: Der große Unterschied

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Die Gendermedizin untersucht, warum sich Krankheiten bei Frauen und Männern anders auswirken. Nun rückt die Coronakrise die geschlechtergerechte Forschung ins Zentrum.

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Die Gendermedizin untersucht, warum sich Krankheiten bei Frauen und Männern anders auswirken. Nun rückt die Coronakrise die geschlechtergerechte Forschung ins Zentrum.

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Sie liegen im Zellkern, sind lichtmikroskopisch nur während ihrer Teilung erkennbar und können Leben retten: X-Chromosomen bestimmen biologisch nicht nur über unser Geschlecht, sondern prägen unser Immunsystem entscheidend mit. Am anschaulichsten wird das in der aktuellen Corona-Pandemie. Jüngsten Studien zufolge dürften Frauen eine Erkrankung mit Covid-19 häufiger mit einem milden Verlauf überstehen. Sie sind seltener im Krankenhaus – und das Virus führt bei weiblichen Patientinnen auch seltener zum Tod. Die Erklärung: Eine Vielzahl von Genen, die auf die Immunantwort reagieren, sitzt auf den X-Chromosomen. Da Frauen zwei davon besitzen, sind sie quasi doppelt geschützt. Doch nicht nur in der Corona-Pandemie gibt es Unterschiede zwischen Mann und Frau. Seit Jahrzehnten untersucht geschlechtergerechte Medizin, wie sich Krankheiten wie etwa Herzerkrankungen oder Diabetes bei Männern und Frauen zeigen. Beginnend mit den Symptomen bis hin zur Behandlung.

„Natürlich rückt die Gendermedizin auch spezielle weibliche Krankheiten stärker in den Fokus“, erklärt Alexandra Kautzky-Willer. Sie ist Fachärztin für Innere Medizin, Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien und eine international hochanerkannte Spezialistin im Fachbereich Diabetes und Schwangerschaft. Seit zwanzig Jahren arbeitet Kautzky-Willer als Gendermedizinerin – und sie wird nicht müde zu betonen, dass es sich längst nicht mehr um ein „feministisches Randthema“ handle. Geschlechter gerechte Medizin ziehe sich als Querschnittsmaterie durch alle Bereiche.

„Sie ist per se nicht ,feministisch‘, da sie sowohl Mann als Frau in den Fokus rückt und beide Geschlechter von ihr profitieren können“, sagt Kautzky-Willer. Wenn an Covid-19 erkrankte Männer in Studien zusätzlich mit Östrogenpflastern behandelt werden – wie zum Beispiel in den USA –, dann sei dies ein gutes Beispiel für neue Therapieansätze und Fortschritte, die sich mithilfe der Gendermedizin erreichen lassen, erklärt die Ärztin.

Die Kunst der Hormone

Eine kollaborative Studie aus Wuhan, die im Journal Clinical Infectious Diseases des Oxford-University-Verlages erschienen ist, liefert erste Hinweise darauf, dass sich weibliche Hormone, vor allem Östrogen, im Coronafall positiv auswirken. Denn Östrogen regelt den ACE2-Rezeptor herunter. „Es kommen somit weniger Coronaviren in die Gastzelle“, sagt Bettina Toth, Klinikdirektorin an der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie. Ferner wirkten Östrogene direkt immunstimulierend, weshalb Frauen möglicherweise besser in der Lage sind, die Virusinfektion unter Kontrolle zu bringen. Nach der Menopause fällt der Östrogenspiegel – und die Frauen haben dann tendenziell schwerere Verläufe.

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