Der Mann - das böse Geschlecht

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Vielleicht wäre ich eine bessere Feministin, wenn ich eine Tochter hätte und mit einer Frau verheiratet wäre. Unorthodoxes zum Frauentag am 8. März.

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Vielleicht wäre ich eine bessere Feministin, wenn ich eine Tochter hätte und mit einer Frau verheiratet wäre. Unorthodoxes zum Frauentag am 8. März.

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In unserer Straße sitzt eine Bettlerin. ­Alle paar Tage gebe ich meinem Sohn eine Münze für sie. Manchmal sitzt dort nicht die Frau, sondern ein Mann. Er bettelt viel aggressiver, und ich fühle mich in seiner Gegenwart unwohl. Also mache ich einen großen Bogen um ihn. Natürlich fällt das meinem Sohn auf. Der muss den Bogen ja meist mitmachen. Schon ein paar Mal hat er mich gefragt, warum wir immer nur der Frau etwas geben. Bislang konnte ich mich vor einer Antwort drücken. Doch letztens blieb er hartnäckig. Ich faselte dann etwas von, dass es mir leichter falle, Frauen gegenüber solidarisch zu sein und so. „Hää?!?“, erwiderte der Fünfjährige entrüstet. „Ich bin doch auch ein Mann! Und dein Mann ist auch ein Mann!“

Damit hatte er Öl ins Feuer gegossen. Ich fürchte, ich wäre eine bessere Feministin, wenn ich eine Tochter hätte und mit einer Frau verheiratet wäre. Vielleicht reichte auch nur eine Tochter. Der Gatte könnte sich wehren. Aber mein Sohn ist die Krux. Mag sein, dass die vergangenen sechs Millionen Jahre Männer das Sagen hatten und jetzt ein anderer Wind weht. Aber muss der unbedingt meinem Kind ins Gesicht wehen? Wenn das so weitergeht, schämt er sich irgendwann dafür, dass er ein Mann ist. Das starke Geschlecht wurde im Laufe der Geschichte mir nichts dir nichts zum bösen Geschlecht. Es muss doch einen Weg geben, diese elendigen Patriarchinnen, Chauvinistinnen und Machos loszuwerden, ohne dass gleich mein Sohn für deren Sünden büßen muss. Dem offensiven Bettler der Emanzipation wegen plötzlich Geld geben, will ich auch nicht. Aber ich werde künftig keinen Bogen mehr um ihn machen. Das ist schon mal ein Anfang.

HINWEIS: Die FURCHE-Ausgabe, in der diese Kolumne erschienen ist, war dem Thema „Frau sein“ gewidmet. Als Einladung zum Perspektivenwechsel wurde bei im Text erwähnten Personengruppen grundsätzlich die weibliche Form verwendet.

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