Mikrobiom: Aufbruch der Kolonauten
Die Erforschung des Mikrobioms gilt als wissenschaftliche Revolution unserer Zeit. Warum die Ausleuchtung der Darmflora einen neuen Blick auf das Leben und die Gesundheit eröffnet.
Die Erforschung des Mikrobioms gilt als wissenschaftliche Revolution unserer Zeit. Warum die Ausleuchtung der Darmflora einen neuen Blick auf das Leben und die Gesundheit eröffnet.
Die menschliche Verdauung ist Bestseller-tauglich: Das weiß man spätestens seit Giulia Enders’ Sachbucherfolg „Darm mit Charme“ (2014). Binnen weniger Jahre wurde das Buch millionenfach verkauft. Die deutsche Ärztin erwies sich als kundige „Kolonautin“ (© Alexander Honold) und beschrieb das Verdauungsorgan als „fabelhaftes Wesen“ mit unzähligen Zotten und Schlingen: Wie man heute weiß, beschränkt sich seine Leistung nicht nur auf die Aufnahme von Nährstoffen – es trainiert auch einen Großteil des Immunsystems und beeinflusst sogar unsere Gefühlswelt. Die vielen Neuauflagen des Buches mussten mit Updates zu neuen Forschungsergebnissen versehen werden: Denn Einblicke in das Mikrobiom – die Milliarden an Mikroorganismen, die den Darm besiedeln – sorgen Jahr für Jahr, ja Woche für Woche, für Aufsehen.
Tierwohl und Pflanzenschutz
Die Erforschung des Mikrobioms ist ein bisschen so, als ob man gerade dabei wäre, in einem riesigen Dschungel die einzelnen Tier- und Pflanzenarten dingfest zu machen. Die Dimensionen des Darms sind jedenfalls beeindruckend: Ausgebreitet würde er eine Fläche von circa 32 Quadratmetern einnehmen, und auf dieser Fläche gibt es mehr Bakterien als Sterne in unserer Galaxie. Wer heute nach „News“ zum Thema „Mikrobiom“ sucht, landet freilich nicht nur im menschlichen Darm.
Auch die Veterinärmedizin ist auf die Rolle der Bakterien, Pilze, Viren und anderer Mikroben aufmerksam geworden, wie eine Studie an der Universität Wien beispielhaft zeigt: Sie beschreibt jüngst die Bedeutung der Darmgesundheit für das Tierwohl, indem sie die negativen Auswirkungen langer Transporte für gefährdete Wildtiere beleuchtet. Demnach führt der damit verbundene Stress etwa bei Nashörnern zu einem Ungleichgewicht des Mikrobioms, was in weiterer Folge zahlreiche Krankheiten begünstigen kann. Damit nicht genug: Auch für die Pflanzengesundheit spielt das Mikrobiom eine wichtige Rolle.
So gelang es einem internationalen Forscherteam nun erstmals, mit gezielten Genveränderungen das Mikrobiom von Reispflanzen zu verändern. Das Ziel: jene nützlichen Bakterien auf den Pflanzen zu vermehren, die schädliche Bakterien beziehungsweise Krankheitheitserreger abwehren können. Letztlich könnte man so auch den Einsatz von umweltschädlichen Pestiziden bei Nutzpflanzen reduzieren, so die Studienidee. Konkret wurde nachgewiesen, dass der Reis durch diesen Eingriff besser gegen ein Fäulnis auslösendes Bakterium (Xanthomonas oryzae) geschützt war. Da solche Infektionen in Asien immer wieder große Ertragseinbußen verursachen, sprechen die Wissenschaftler im Fachjournal Nature Communications von einem Durchbruch. Zwar beziehe sich die Methode auf den Reisanbau, aber die Erkenntnisse zur Mikrobiom-Verbesserung könnten auch auf andere Pflanzen angewendet werden.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!