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Bioökonomie setzt auf einen Cocktail an biogenen Rohstoffen, die wir uns teils noch gar nicht vorstellen können. (Georg Backhaus)

"Mikroplastik landet heute sogar im Meersalz, wie eine Studie der Universität Oldenburg zeigt. Besonders hohe Werte fanden sich im Edelsalz 'Fleur de Sel'."

Im Jahr 2050 könnte mehr Plastik als Fisch in den Ozeanen schwimmen: Das war eine Meldung, die letztes Jahr bei der ersten UN-Konferenz zum Schutz der Weltmeere für großes Aufsehen gesorgt hat. UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor der "Bedrohung der Ozeane" und verwies dabei auf die wachsende Menge an Plastik, die im Meer verschwindet - laut Schätzungen der UN-Umweltorganisation zwischen zehn bis 20 Millionen Tonnen jährlich. Inzwischen landet das Mikroplastik sogar im Meersalz, wie soeben eine Studie der Universität Oldenburg nachgewiesen hat. Besonders hohe Werte fanden sich im "Fleur de Sel", einem Edelsalz, bei dem die Salzkristalle mit der Hand von der Wasseroberfläche abgeschöpft werden. Der Grund: Viele Kunststoffe haben eine geringere Dichte als Wasser und schwimmen somit länger obenauf.

Steigender Kunststoff-Bedarf

Die Suche nach biologisch abbaubaren Kunststoffen ist somit zunehmend dringlich geworden. Forscher in Industrie und Wissenschaft haben bereits mehrere Ansatzpunkte ins Visier genommen: Abfälle von Pilzen zum Beispiel, aus denen man Plastikfolien gewinnen könnte; oder Zitrusfrüchte, die die Substanz Limonen enthalten, das als Alternative zu einem gesundheitsschädlichen Weichmacher-Zusatz fungieren kann. Auch die vielseitig genutzte Hanfpflanze könnte gute Dienste erweisen: Hanf-basierte Biokunststoffe kommen schon bei Autoherstellern wie BMW und Mercedes Benz etwa zur Isolierung von Türverkleidungen zum Einsatz.

"Strategische Bemühungen zur Lösung des Plastikproblems sind sehr wichtig, zumal der Bedarf an Kunststoffen noch stark steigen wird", sagt Rosemarie Stangl von der Universität für Bodenkultur Wien (siehe auch Interview rechts). Eine am österreichischen Umweltbundesamt geleitete Studie entwickelt derzeit einen "Fahrplan", wie die Menge an Kunststoffen in den nächsten 30 Jahren schrittweise durch biobasierte Materialien ersetzt werden kann. "Bei vielen derzeit verfügbaren biobasierten Kunststoffen aus Zucker oder Stärke zum Beispiel sind die Materialeigenschaften noch nicht so ausgereift, wie wir sie brauchen", so Stangl.

Doch es liegt nahe, weiter zu denken: Was für das Plastik gilt, ist ebenso für Treibstoffe, Heizstoffe und andere Materialien wichtig. Interdisziplinär denkende Forscher haben das getan und ihre Arbeit unter dem Dach eines neuen Zauberworts vorangetrieben: die Bioökonomie. Darunter ist unter anderem die "wissensbasierte Produktion und Nutzung von biologischen Ressourcen" zu verstehen, wie der erste Weltgipfel der Bioökonomie 2015 in Berlin festgehalten hat. Bioökonomie basiert demnach auf "innovativen biologischen Prozessen und Prinzipien, um Waren und Dienstleistungen quer durch alle wirtschaftlichen Sektoren zu gewährleisten". Oder in den Worten von Georg Backhaus, Leiter des deutschen Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen: "Wenn aus Wirtschaft Bioökonomie wird, dann sind Pflanzen die Fabriken der Zukunft. Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch pflanzliche Rohstoffe. Dennoch ist Bioökonomie weit mehr als 'alter Wein in neuen Schläuchen' ( ). Sie setzt auf einen Cocktail an biogenen Rohstoffen, die wir uns heute zum Teil noch gar nicht vorstellen können."

Algen zur Kosmetik

Beispiele gibt es freilich schon genug: Aus Algen etwa lässt sich nicht nur Wärme und Strom erzeugen, sie dienen auch als Rohstoff für Kosmetikprodukte oder Farben und Lacke. Zellulose dient der Textilverarbeitung; Spinnenseide hilft bei der Wundheilung. "In der Medizin wurde mit biogenen Rohstoffen bereits viel erreicht", resümiert Rosemarie Stangl. Und das Miscanthus-Schilfgras kann nicht nur den Garten schmücken, sondern auch als Ausgangsstoff für Plastikflaschen und Nylonstrümpfe fungieren, wie ein großes EU-Projekt an der Universität Hohenheim zeigt: Aus dem verbliebenen Lignin der Pflanze entsteht Phenol für die Kunststoffgewinnung. Was danach vom Miscanthus-Gras übrig bleibt, wandert in die Biogasanlage der Universität -und als Dünger zurück auf die Felder. Denn letztlich geht es bei der Bioökonomie um lückenlose und nachhaltige Wertschöpfungsketten, bei der man aus Biomasse die verschiedensten Produkte und Energielieferanten gewinnt. Idealerweise gelingt es, komplette Kreisläufe an die Stelle von linearen Ketten treten zu lassen: von der Produktion über die Verarbeitung, Produktentwicklung und -design bis hin zur Marktetablierung, dann wieder Rückführung in die Produktion, damit Recycling möglich ist (Rücknutzung).

Ökonomisierung der Natur?

Für die strategischen Zielsetzungen der EU ist Bioökonomie zunehmend relevant: Im Forschungsprogramm Horizon 2020 wurden die Fördermittel auf 3,85 Milliarden Euro erhöht. Auch in Österreich ist eine Forschungsstrategie erarbeitet worden. An der BOKU Wien wurde kürzlich auch ein ethischer Kriterienkatalog herausgegeben, um Orientierung für eine gute Praxis zu geben. Denn Kritiker wittern hinter dem neuen Schlagwort der Bioökonomie die Gefahr eines "grünen Kapitalismus", indem die Natur als Lieferant biogener Rohstoffe erst recht neue Begehrlichkeiten weckt. Die umfassende Nutzung natürlicher Ressourcen macht Entwicklungen denkbar, die sich zwischen den Polen "Ökologisierung der Ökonomie" und "Ökonomisierung der Natur" bewegen, halten auch die Experten im Ethik-Katalog fest: "Die große Herausforderung besteht darin, eine klare Orientierung in Richtung nachhaltiger Entwicklung zu erreichen." Immerhin sind elf der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO direkt mit der Bioökonomie verknüpft.

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