Umsteigen auf die "sanfte Chemie"

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Die heute dominierende Petrochemie ist wegen ihrer umweltbelastenden Folgen nicht durchzuhalten. Aber es gibt alternative Formen der Erzeugung.

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Die heute dominierende Petrochemie ist wegen ihrer umweltbelastenden Folgen nicht durchzuhalten. Aber es gibt alternative Formen der Erzeugung.

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dieFurche: Sie propagieren eine "sanfte Chemie". Was hat sie dazu veranlaßt?

Hanswerner Mackwitz: Ich bin Chemiker und mir ist durch intensive Auseinandersetzung mit den Vorgängen in den Retorten immer klarer geworden, daß die Art und Weise, wie wir die Dinge, die wir zum Leben brauchen, herstellen, nicht auf Dauer fortgesetzt werden kann. Die Petrochemieschiene, die sich auf Erdöl, einen Stoff stützt, der bei gegebener Ausbeutungsrate nur mehr für zwei Generationen zur Verfügung steht, ist nicht nachhaltig.

dieFurche: Diese Begrenzung liegt aber in weiter Ferne ...

Mackwitz: Noch brisanter ist das Argument, daß die Erde es nicht aushält, wenn wir so viel CO2 in die Luft blasen. Und es gibt andere Argumente: die Toxizität der Stoffe, die ungeheuren Abfallmengen, die in keiner Weise zu bewältigen sind. In ihrer Vielfalt und Menge sind die schädlichen Stoffe heute nicht mehr kontrollierbar. Man kann diese Millionen von synthetischen Verbindungen, die auf uns niederprasseln, nicht einmal annäherungsweise reglementieren.

dieFurche: Sind es Stoffe, die es sonst in der Natur nicht gibt?

Mackwitz: Die Ökosysteme werden mit ihnen unvertrauten Substanzen belastet. Die "Löcher", in denen etwas verschwinden kann, erweisen sich zunehmend als überfordert. Wir entdecken all das erst langsam - etwa die Folgen auf die Meere. Oder nehmen Sie die neue Problematik der hormonaktiven Substanzen, die nicht als Hormone gedacht waren, sich jetzt aber als hormonwirksam erweisen.

dieFurche: Eine besondere Gefährdung?

Mackwitz: Sie erzeugen in verschwindenden Mengen sehr starke Wirkungen im Organismus. Darum sehen wir in diesen hormonähnlichen Substanzen - etwa Weichmacher im Plastik oder Waschmittelkomponenten - eine große Gefahr. Sie kommen in ganz schönen Tonnagen in die Welt.

dieFurche: Wie lassen sich überhaupt Folgen solcher Stoffe, die in kleinsten Mengen wirken, dingfest machen?

Mackwitz: Bei einer Arbeit über die Wasserbelastung durch Wiener Spitäler fanden wir heraus, daß bestimmte Desinfektionsmittel, aber auch Tenside hormonaktive Wirkungen haben. Es gibt da entsprechende Tests. Bemerkenswerterweise waren es in den Tensiden nicht die Hauptwirkstoffe, sondern die Duftstoffe, die diese Hormonwirkung haben. Diese Stoffe sind ja auch aus anderen Gründen in die Ökodiskussion gekommen. Sie sind zum Teil krebserregend. Nur bei der Hormonwirkung ist die Sache um einen Faktor 1.000 gefährlicher.

Ein aktuelles Beispiel für das Problem ist die Schließung der Hochschule in Salzburg: Mehrere Professoren waren an Leukämie erkrankt, es gab sehr viele Asthmafälle. Die Analysen während der letzten Monaten zeigen, daß man problematische Baustoffe benutzt hatte, daß polychlorierte Biphenyle in gefährlicher Konzentration im Spiele sind. Untersuchungen der Luft im Gebäude ergaben, daß sie ein starkes Mutagenitätspotential hat. Den auslösenden Faktor kennt man jedoch nicht.

dieFurche: Gibt es eine Alternative zu den derzeit verwendeten Produkten?

Mackwitz: Ja, die Verwendung natürlicher Baustoffe: Holz, Hanf, Flachs, Steine, die nicht strahlen ... Da wissen wir auch, wie diese Stoffe beschaffen sein müssen: atmungsaktiv, diffusionsoffen, Wasserdampf aufnehmend ...

dieFurche: Was sind nun die Merkmale einer "sanften" Chemie?

Mackwitz: Wir haben seit sehr vielen Jahren mit einem Arbeitskreis versucht, diese Grundlagen herauszuarbeiten und inzwischen ein Instrumentarium geschaffen. Die sanfte Chemie versucht, neue Wege zu gehen: was die stoffliche Basis, was den Umgang mit diesen Stoffen betrifft. Es gibt eben eine harte und eine sanftere Methode des Umgangs. Ein zentraler Begriff ist die Eingriffstiefe: Je tiefer ich gewissermaßen in den Stoff mit dem Meißel hineinschlage und je mehr ich an der Struktur neue Scharniere einziehe, die nachher nicht passen, weil sie im Ökosystem nicht metabolisierbar sind, desto härter wird die Vorgangsweise. Alle chemischen Reaktionen, die beispielsweise durch die Attacke mit Chlor erzwungen werden, haben mit sanfter Chemie nichts zu tun. Es geht um Eingriffstiefe, um Unumkehrbarkeit. Und es geht um den Vorrang des Suchens vor dem Konstruieren.

dieFurche: Was und wo suchen Sie?

Mackwitz: Die Durchleuchtung der vielfältigen Pflanzenwelt ergibt unglaublich interessante Erkenntnisse. Bei uns wachsen Pflanzen, von denen wir erst ansatzweise erkennen, wieviel "Power" deren Inhaltsstoffe enthalten. Unser Thema ist also, wenn Sie so wollen, Pflanzenkraft und Menschenwerk. Wie bringe ich beides zusammen für eine solare Gesellschaft, in der solare Materialien die dominierende Rolle spielen? Sie erfüllen sämtliche Kriterien der Nachhaltigkeit.

dieFurche: Könnten Sie das an einem Beispiel erläutern?

Mackwitz: Sehr interessant ist diesbezüglich die enorme Vielfalt der Ölpflanzen. Es gibt ganz viele Öle neben der Sonnenblume, neben dem Mais, dem Raps. In den letzten Jahrzehnten haben wir einfach vergessen, was man alles mit ihnen tun kann: etwa mit Nachtkerzen- oder Leindotteröl. Ein Beispiel aus Deutschland: Lammsbräu, der erste Produzent von Bio-Bier brauchte Gerste zum Bierbrauen. Um sie biologisch zu produzieren, haben sie in die Gerste Leindotter gepflanzt. Beides wurde gleichzeitig abgeerntet und gedroschen und war wegen der unterschiedlichen Größe der Körner leicht trennbar. Mit dem aus dem Leindotter gewonnen Öl wird jetzt die gesamte Fahrzeugflotte betrieben. Und zwar als reines Pflanzenöl, ohne Umestherung. Man kann mit fettem Öl einen Motor betreiben. Das bedarf eines nur minimalen Umbaus des Dieselmotors.

dieFurche: Also Forcierung des Öls als alternativer Treibstoff?

Mackwitz: Nein. Man kann aus dieser Vielfalt des Fettsäurespektrums der Öle eine breite Palette von Gütern herstellen - ohne viel Aufwand. Fette und Zucker können heute schon sehr interessante Tenside, die biologisch abbaubar sind, ergeben. Sie kommen ohne große Eingriffstiefe zustande. "Henkel" hat da schon begonnen. Ein zweiter wichtiger Punkt wäre, wirklich abbaubare Biopolymere, Kunststoffe, die nicht jahrzehnte-, jahrhundertelang herumliegen, sondern von Mikro-Organismen geknackt werden. Das brauchen wir, nicht nur um den Müllberg zu verkleinern. Aus Ölen lassen sich auch sehr feine Schmiermitteladditive gewinnen. Weiters gibt es Nutzungsformen von Öl, die zu neuen Werkstoffen mit einer Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten führen.

dieFurche: Ein Beispiel für vollwertigen Ersatz heute genutzter Stoffe?

Mackwitz: Es geht nicht um Ersatz. Denn die Petrochemie hat die Naturstoffe substituiert. Sie hat uns gewissermaßen die Naturstoffe gestohlen. Und jetzt finden wir wieder zu diesen Stoffen zurück: Öle, Hanf, Flachs oder sogar das Gänseblümchen als Rohstoffpflanze für Emulgatoren in der Kosmetik sind Kulturstoffe. Da hängt die Erfahrung von Generationen dran, die mit all diesen Stoffen etwas anzufangen wußten. Unsere Großmütter kannten den Balsambaum und haben aus dessen Knospen und Schweineschmalz eine Salbe gemacht, mit der phantastische Heilerfolge erzielt wurden. Wir haben all das vergessen. Ich mache jetzt beispielsweise ein Schöllkrautprojekt für das Waldviertel. Dort gibt es übrigens die verschiedensten Initiativen: die Mariendistel, ein Leberpräparat, dessen Anbau und Verwertung mittlerweile perfekt organisiert ist. Oder das Johanneskraut, eine Pflanze, die man nicht nur sehr erfolgreich als Antidepressivum verwenden kann, sondern die auch antivirale Wirkungen hat. Auch in der Aids-Bekämpfung und in der fotodynamischen Krebstherapie setzt man sie erfolgreich ein. In diesen Pflanzen steckt viel mehr drinnen, als man gemeinhin vermutet. Aber ähnliches gilt auch für den Bausektor, bei Farben, Lacken, Baustoffen ist sehr viel einzubringen.

Das Gespräch führte Christof Gaspari Zur Person Chemiker, Öko-Berater, Filmemacher und Schauspieler Hanswerner Mackwitz ist 1945 geboren, in Bayern aufgewachsen, in Salzburg zur Schule gegangen. Als Chemotechniker lernt er Chemie von der Pike auf. Er studiert Chemie und Politikwissenschaft in Basel und Zürich. In der Schweiz arbeitet er bei großen Konzernen, lernt viele Chemiefirmen von innen her kennen. Nebenbei spielt er Theater, unter anderem am Basler Theater. Im Laufe der Zeit beginnt er die Chemie kritischer zu sehen. Der Dioxin-Unfall in Seveso bringt die Wende.

Mackwitz beginnt für die Medien zu arbeiten, macht auch Fernsehfilme. 1977 übersiedelt er nach Österreich, betreibt Umweltprojekte, berät Umweltminister, dann drei Jahre lang die "Grünen" im Bundestag und anschließend die im österreichischen Parlament. Er ist Verfasser mehrerer Bestseller: "Zeitbombe Chemie", "Ökotricks und Bioschwindel". Zuletzt gründet er eine eigene Firma, die Auftragsforschung macht und verschiedene Institutionen berät.

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