Was bedeutet es, wenn zehn Kritiker sich nach einigem Streiten darauf einigen, daß von etwa zweitausend Schauspielinszenierungen in der Bundesrepublik, in Österreich und in der Schweiz acht interessant genug sind, sie auf Steuerkosten nach-Berlin einzuladen? Die Weltstadt ohne Hinterland zieht für zwei Wochen wenigstens die Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Theaterwelt auf sich; die Berliner Theaterfans sehen, was „draußen“ gemacht wird; Berlins Hotelbranche freut sich über bessere Auslastung ihrer Bettenkapazitäten.
„Das auf Bildungsgewinn und artistische Gediegenheit gerichtete, von einem beherrschenden Regisseur-Intendanten mobilisierte Theater kann schwerlich fortgeführt werden." So schrieb Ivan Nagel in der „Süddeutschen Zeitung", als die ersten Meldungen über das sich für Herbst 1970 konstituierende neue Ensemble an der Westberliner „Schaubüline am Halleschen Ufer" bekannt wurden. Seither erhoffen er und die bundesrepublikanische Theaterwelt von diesem kleinen Theater die Entdeckung der Heilmittel gegen die Krise auf der Bühne und im Zuschauerraum. Während der letzten Wochen wurde viel über dieses Theater gesprochen und geschrieben, da seine Existenz gefährdet schien: Wegen „staatsfeindlicher Umtriebe" drohte ihm eine Sperrung der staatlichen Subventionen. Doch Ist es zu dieser Maßnahme nicht gekommen.