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Digital In Arbeit

WIR HABEN’S JA

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Es gehört zum Arbeitslauf einer jeden Redaktion, in regelmäßigen Zeitabschnitten über weggeworfene Butterbrote, verdorbene Wurststücke und ähnlich zum Verfaulen verurteilte Lebensmittel zu berichten; ebenso regelmäßig wird daran die Frage geknüpft, ob es uns wirklich so gut geht, daß man seine Sattheit so wegwerfend zeigen kann.

In diesen Tagen ging ein Photo durch viele Zeitungen, auf dem Männer Milchkannen in einen Stiaßenausguß schütten. Milchkannen wie Besitzer kommen aus dem bayrischen Ort Zöschingen, der Ausguß liegt in einer Stuttgarter

Straße. 200 Liter Vollmilch liefen am ersten Tag in die städtische Kanalisation, 1200 Liter ollen es jeden Tag sein, bis die streitbaren Bauern ihr „Recht“ bekommen. Was heißt nach ihrer Ansicht „Recht“: Die Zöschinger Milchlieferanten brachten bisher ihre Milch täglich zur Molkereigenossenschaft Dischingen (Kreis Heidenheim). Unzufrieden mit dem dort erzielten Erlös, wollten sie nach Ablauf des Vertrages mit Dischingen die Milch zur Bezirkssammelstelle der Milchverwertung Heidenheim bringen. Das nordwürttembergische Regierungspräsidium gab seine Genehmigung, ebenso das Verwaltungsgericht Stuttgart, das daraufhin von der abgelehnten Molkerei angerufen worden war. Der Verwaltungsgerichtshof in Stuttgart entschied, daß bis zur endgültigen Verhandlung die Bauern weiter ihre Milch zur früher benützten Molkerei bringen müßten. Das war das Signal: Die „Empörten“ gossen die Milch auf die Straße. Man werde notfalls nach Bcnn fahren, hieß es, und die Milch Ernährungsminister Lübke vor die Tür kippen.

Der Rechtsstreit mag ausgehen wie er will! Wer aber, heute selbst im Zeichen des Wirtschaftswunders ein so hochwertiges Nahrungsmittel wie Milch vernichtet, nur um Aufsehen zu erregen, der hat zumindest moralisch sein Recht verwirkt. Vielleicht berichtet den Zö- schingern einmal jemand, wie es in den Notaufnahmelagern aussieht, wie vielen Kindern dort Milch fehlt. Das wird die starrköpfige Haltung wohl kaum ändern, aber wir sollten es uns ins Gedächtnis rufen, daß die Not noch nicht lange hinter uns liegt und auch heute noch unter uns ist.

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