58,1 Kilometer Glockner

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Vor 70 Jahren wird die Glocknerstraße als "Symbol österreichischen Lebensmutes", als Straße des Lebens, des Friedens und der Freiheit eröffnet - doch daneben weht schon die Hakenkreuzfahne.

locknerstraße, wollen wir sie von heute an kurz nennen, ein Name, der Österreich in der ganzen Welt repräsentiert." Am 3. August 1935 eröffnet der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl mit viel Österreich-Patriotismus die Scheitelstrecke der Großglockner-Hochalpenstraße.

Und die anderen Redner bei dieser Eröffnungsfeier stehen dem Landeshauptmann im patriotischen Pathos ihrer Formulierungen nicht nach: Bundespräsident Wilhelm Miklas würdigt die Glocknerstraße als "Symbol unseres Lebensmutes" und "Beweis unseres Selbstbehauptungswillens und unseres festen Entschlusses, Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit auch in einem unruhigen Europa mit allen Mitteln in Not und Tod zu schützen und zu schirmen".

Hakenkreuz & Dollfuß-Tafel

All diesen Österreich-Bekundungen zum Hohn weht an diesem Tag und am Tag darauf bereits eine Hakenkreuzfahne neben der Straße am Fuscher Törl - keine hundert Meter von der Gedenktafel für den im Vorjahr von den Nationalsozialisten ermordeten Bundeskanzler Engelbert Dollfuß entfernt. Zum einen ein Zugeständnis an Hitler-Deutschland, das dafür vier Tage lang deutsche Besucher der Straße von der 1000-Mark-Ausreisegebühr befreit; zum anderen ist das Hakenkreuz bei der Eröffnungsfeier jedoch auch "eine für den vaterlandtreuen wie für den nationalsozialistisch angehauchten Österreicher sehr erfreuliche Tatsache", wie das christlich-soziale Parteiblatt Salzburger Chronik meldet und Georg Rigele in seinem Buch "Die Großglockner-Hochalpenstraße - zur Geschichte eines österreichischen Monuments" zum Resümee veranlasst: "Vom Herzen Europas zu reden, aber an Deutschland zu denken, war das Problem, welches selbst das patriotische Fest der Glocknerstraßen-Eröffnung nicht vollständig verdecken konnte." - Dass bei der 70-Jahr-Feier am kommenden Sonntag ausgerechnet Landeshauptmann Jörg Haider die Festansprache auf der Kaiser-Franz-Josef-Höhe halten wird, zeugt in diesem Kontext von sehr wenig Geschichtsbewusstsein der heutigen Straßenbetreiber.

Großglockner ersetzt Ortler

Der Salzburger Landeshauptmann Rehrl hingegen bleibt am 3. August 1935 der Anschluss-Propaganda rhetorisch nichts schuldig und betont bei jeder Gelegenheit "das neue Österreich, unser Österreich, das Gott uns für immer und ewig erhalte". Und Rehrl ist in der damaligen Zeit mit der Verknüpfung von Glocknerstraße und Österreich-Bewusstsein nicht allein. Die patriotische Selbstfindung der Republik Österreich orientiert sich in der Zeit stark an landschaftlichen Fixpunkten: "Der Großglockner hatte den Ortler als höchsten Berg Österreichs abgelöst, daher sollte die Glocknerstraße der Stilfserjochstraße gleichwertig werden. Die Franz-Josefs-Höhe trat gewissermaßen gegen die Franzenshöhe an."

Eine Art "Verschweizerung"

Und so wie schon zuvor Bundeskanzler Dollfuß ist auch sein Nachfolger Kurt Schuschnigg von der segensreichen Wirkung der Straße auf die politische Moral überzeugt - Schuschnigg: "Ich wiederhole, dass mir hierbei der politische Effekt momentan fast noch wichtiger erscheint, als die wirtschaftliche Seite. Was aber die letztere betrifft, muß zugegeben werden, daß die Salzburger sich bis jetzt, weder was die Festspiele, noch was die Glocknerstraße anlangt, geirrt haben."

"Die Salzburger", von denen Schuschnigg spricht, sind vor allem "der Salzburger" Franz Rehrl. 1922, kurz vor seinem 32. Geburtstag zum Landeshauptmann gewählt, sind für den Christlich-Sozialen die Salzburger Festspiele und die Glocknerstraße primär nationale Prestigeobjekte. Beides soll auch eine Art "Verschweizerung" Österreichs fördern, die österreichische Patrioten wie der Komponist Ernst Krenek erhoffen: "Blickt hin gegen Westen, wo ein freies Volk auf freien Bergen wohnt, und lernt von ihm, wenn es auch spät ist, bald ist es allzu spät!"

PR-Team Rehrl & Wallack

1929 setzt Rehrl nach Jahren der Planung einen einstimmigen Beschluss des Salzburger Landtags zum Bau der Straße durch und wird noch mehr als zuvor zum politischen Zugpferd des Projekts. Auf das Attribut "Schöpfer der Glocknerstraße" legt der selbst- und machtbewusste Landeshauptmann großen Wert; Franz Wallack, dem technischen Verantwortlichen für den Straßenbau, gesteht er den Titel "verdienstvoller Erbauer" zu. Insgesamt bilden Rehrl und Wallack jedoch ein geniales Team, das nicht nur "einen technischen Krieg gegen widerstandsvolle Bergmassen", sondern auch "einen geistigen Krieg gegen eine immer wieder verlängerte Reihe von Widerwärtigkeiten" meistert - zu letzteren Hemmnissen zählt der überzeugte Föderalist Rehrl vor allem den "unverbesserlichen Wiener Sumpf".

Ihr technisch-politisches Projektmanagement untermauern Rehrl und Wallack mit einem enormen Aufwand an Öffentlichkeitsarbeit. Die 150 zur Eröffnungsfeier geladenen in- und ausländischen Journalisten sind nur der Höhepunkt einer die gesamte sechsjährige Bauzeit begleitenden Werbestrategie. Exkursionen für Fachleute, Journalisten und Touristen zum "größten und modernsten hochalpinen Straßenbau der Gegenwart" sind fixer Bestandteil der Glocknerstraßen-pr. Radio und Film werden gleichermaßen für die Propaganda genutzt. Und mit seiner Idee einer Reklamevignette für Auto-Windschutzscheiben entwickelt Wallack ein Statussymbol für Automobilisten, das über Jahrzehnte hinweg als genialer Werbeträger funktioniert. Die Popularität des Glocknerstraßen-Logos zeigt sich auch in dessen Verwendung bei der "Großglockner-Zigarre". Außerdem werden 240 Email-Entfernungstafeln mit der Aufschrift "Zum Glockner ... km" an Straßenkreuzungen in ganz Österreich aufgestellt.

"Es war halt wie im Krieg!"

Wallack und Rehrl tragen als Produzenten ihrer eigenen Geschichte selbst am meisten zu ihrem Image als "moderne Sagenfiguren" bei. Neben seiner Baugeschichte, seiner Autobiografie, unzähligen Artikeln in Zeitschriften und einer Vielzahl von Fotografien, die Landschaft, Straße und ihren Erbauer ins rechte Licht rücken, textet und komponiert Wallack sogar einen mehrteiligen Zyklus von "Hochtor-Liedern".

In sozialpolitischen Belangen kennt der Ästhetiker und kunstsinnige Feingeist Wallack jedoch keine Sentimentalitäten: "Es war halt so wie im Krieg", charakterisiert er den "Endkampf" um die Fertigstellung der Glocknerstraße. Bis 1934 überquert Wallack 230-mal zu Fuß "im Legionsschritt" den Tauernhauptkamm. Auf insgesamt 10.000 Kilometern Weglänge überwindet er dabei 42 Mal die Höhe des Mont Everest - und das als starker Raucher: "Während des Glocknerstraßenbaues habe ich unentwegt Egyptische II. Sorte geraucht, die aneinandergereiht eine Riesenzigarette von etwas mehr als fünfeinhalb Kilometer Länge ergäbe."

Seine Rolle als Bauleiter vergleicht Wallack, der am ersten Weltkrieg und im Kärntner Abwehrkampf als Offizier teilgenommen hat, mit der eines Truppenoffiziers: "Wenn der Kommandant sich nicht schonte und immer bei seinen Leuten in der vordersten Stellung und auch dort war, wo es ungemütlich zuging, dann konnte er von seiner Truppe viel, ja alles verlangen." Die kurzen Sommer, der Termindruck zur Fertigstellung einzelner Bauetappen, die sauerstoffarme Luft, Kälte, Schnee und Sturm lässt nur konditionsstarke und abgehärtete Männern die Strapazen meistern. Elitenbewusstsein kommt auf, ein regelrechter Kult der "Glocknerstraßen-Baraber" entsteht: Ein "Ausleseprozess" lässt nur "harte Burschen" und "Männer der harten Arbeit" durchkommen. Diese Anforderungen machen sehr schnell klar, dass der Bau der Glocknerstraße nie das sein konnte, für das es seit der Projektierung immer ausgegeben wurde und das neben den landschaftlich-patriotischen Aspekten am meisten zur Popularität der Straße beigetragen hat: eine große Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Kein Beschäftigungserfolg

Die zu propagandistischen Zwecken genannte Zahl von 3200 Arbeitern lässt sich laut den akkuraten Rechnungen des Glocknerstraßen-Spezialisten Georg Rigele für keinen Zeitpunkt nachweisen: "Sie ist eine Übertreibung, die sich allerdings als historisches Faktum publizistisch festgesetzt hat." Nur in wenigen Wochen der über sechs Jahre verteilten 26-monatigen Bauzeit werden mehr als 2000 Arbeiter beschäftigt. Für die um Legitimität ringende Diktatur der Bundeskanzler Dollfuß und Schuschnigg ist der Glocknerstraßen-Bau aber ein willkommenes beschäftigungspolitisches Aushängeschild, das beeindruckende Bilder naturverbundener Muskelarbeit liefert, tatsächlich aber nur wenig zur Verbesserung der Beschäftigungsstruktur beiträgt. Zu dieser Sagenbildung über angebliche Beschäftigungserfolge gehört auch die Mär, dass man die Straße bewusst "von Hand" bauen lässt. Verbote, die Verwendung von Maschinen zugunsten der Handarbeit einzuschränken, um damit mehr Arbeitern länger Arbeit zu verschaffen, gibt es zu keiner Zeit.

56 Millionen Besucher

Keine Mär ist jedoch die ständig wachsende Besucherfrequenz der Glocknerstraße seit ihrer Eröffnung: 2003 fuhren 76.047 Motorräder, 216.361 pkw und 7333 Busse auf dieser Route über den Tauernhauptkamm. In dieser Saison wird die Gesamtbesucherzahl von 56 Millionen überschritten; die Großglockner-Hochalpenstraße ist damit die am zweithäufigst besuchte Fremdenverkehrsattraktion Österreichs nach Schloss Schönbrunn - und auch heute gilt so wie im Eröffnungsjahr 1935 die Warnung an alle die 51,8 Kilometer lange Straße befahrenden Automobilisten, sich nicht von der Schönheit der Landschaft zu Unaufmerksamkeiten verleiten zu lassen: "Die Insassen müssen dem Wagenführer, sei er nun Herren- oder Berufsfahrer, Gelegenheit geben, sich öfters in Ruhe (bei stillstehendem Fahrzeug) die Landschaft anzusehen."

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