Affen sind die besseren Menschen

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Ein buddhistischer Mönch wird vom Kaiser nach Westen, das heißt von China aus gesehen: nach Indien geschickt, um dort wichtige sakrale Schriften zu besorgen. Die Geschichte hat Parallelen in der Wirklichkeit. Ein Mönch ging tatsächlich zur Zeit der Tang-Dynastie nach Indien "Bücher holen", aber ohne dass die Reise (von 630 bis 645) vom Kaiser befohlen oder gar erlaubt worden wäre. Der Tang-Kaiser Taizong war aber klug genug, den Pilgermönch bei seiner Rückkehr willkommen zu heißen ...

Neulich bekam Eva Lüdi Kong für die erste vollständige deutsche Übersetzung des zur Zeit der Ming-Dynastie (im 16. Jahrhundert) erschienenen Klassikers "Die Reise in den Westen" den Preis der Leipziger Buchmesse. Gelegenheit zu einem freudigen Wiedersehen, denn ich habe dieses Werk erstmals vor etwa 30 Jahren auf Russisch gelesen. Allerdings nicht die vollständige Übersetzung, die in den 50ern erschienen war, zur Zeit der engen Freundschaft zwischen der UdSSR und Mao-China, sondern eine gekürzte Ausgabe, "Sun Wukong, der König der Affen", in welcher der abenteuerlustige Steinaffe ins Zentrum gerückt war. Selten glänzt ein so dickes Buch durch eine so selige Langeweile. Aber das ständige Aufeinanderfolgen von Hunderten nach demselben Muster gestrickten Episoden wird allmählich zu einer erstaunlichen Kurzweile!

Feiges Männlein und geistreicher Affe

Und wenn man doch einschläft, träumt man den König der Affen Sun Wukong, den Ebermenschen Zhu Bajie und den Sha Wujing, einen niederen Dämon von fürchterlichem Aussehen, allesamt Wesen, die Gesetze des Himmels (der aussieht wie ein bürokratisch verwaltetes Kaiserreich) gebrochen haben und auf die Erde verbannt wurden. Durch Hilfe für den Tang-Mönch müssen sie sich eine Rückkarte in den Himmel verdienen. Bei jedem Halt, in jeder Stadt, in jedem Kloster treffen sie Tiere, die Menschengestalt angenommen haben (teilweise aus dem Himmel geflohene Geister, die das Erdendasein viel lustiger finden), die sie bekämpfen und vernichten müssen. Das nominelle Oberhaupt der Expedition, der Mönch Xuanzang, ist ein weinerliches, feiges Männlein, das neben dem geistreichen und tapferen Affen (einer der sympathischsten und menschlichsten Gestalten der Weltliteratur) blass aussieht. Aber er hat Kontrolle über ihn: Durch Beschwörung kann er den Kopfring, den der Affe tragen muss, enger werden lassen, was zu grausamen Schmerzen führt.

Die etwas mechanische Aneinanderreihung der Episoden erklärt sich wahrscheinlich durch den Ursprung des Werks. Es wurde für den mündlichen Vortrag auf Marktplätzen verfasst, und so etwas macht sich an der Struktur bemerkbar, das ist auch bei der Ilias nicht anders. Die erste Ausgabe erschien anonym, später wurde Wu Cheng'en (ca. 1500-1572) als Autor vermutet, ein wenig erfolgreicher Gelehrter (was die Prüfungen und die mit ihnen verbundene Staatskarriere angeht). Interessant: Große chinesische Lyriker, wie die Tang-Genies Li Bai und Du Fu, haben oft hohe Stellungen am Kaiserhof eingenommen, die Prosaiker sind meist gescheitert. Heute wäre das umgekehrt, bei der Stellung der Poesie in der heutigen Welt.

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