Andere Positionen achten

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Gottes Widersprüchlichkeit

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Gottes Widersprüchlichkeit

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„Als Mose auf die Höhe stieg, um die Tora in Empfang zu nehmen, wurden ihm im Zusammenhang mit einer jeden Sache 49 Gründe gezeigt, warum es erlaubt sein sollte, und 49 Gründe, warum es verboten sein sollte. Als Mose den Heiligen – Gepriesen sei Er! – um endgültige Entscheidungen bat, wurde ihm gesagt, dass derartige Entscheidungen den Weisen Israels in jeder einzelnen Generation vorbehalten seien und dass die Entscheidungen, die sie dann jeweils träfen, die gültigen Entscheidungen seien.“

Kann ein Mensch diese Widersprüchlichkeit in Gottes Offenbarung überhaupt aushalten? Kann er dem Auftrag gerecht werden, die Offenbarung am Sinai mittels menschlicher Vernunft zu interpretieren? Er hat damit die Möglichkeit, aber auch die Pflicht, sich um ein Verständnis der Forderungen Gottes zu bemühen und sie je neu umzusetzen. Respekt für andere Meinungen gehört dazu.

„Rabbi Abba sagte im Namen Schmuels: Drei Jahre stritten die Schule Schammais und die Schule Hillels: eine sagte, die Halacha sei nach ihr zu entscheiden. Da ertönte eine Hallstimme und sprach: Die Worte der einen und der anderen sind Worte des lebendigen Gottes; jedoch ist die Halacha nach der Schule Hillels zu entscheiden. – Wenn aber die Worte der einen und der anderen Worte des lebendigen Gottes sind, weshalb war es der Schule Hillels beschieden, dass die Halacha nach ihr entschieden wurde? –Weil sie verträglich und bescheiden war und sowohl ihre eigene Ansicht als auch die der Schule Schammais studierte; noch mehr, sie setzte sogar die Worte der Schule Schammais vor ihre eigenen.“

Dieses Talmudzitat (Erubin 13b) zeigt, wie bedeutsam es ist, dass man sich konstruktiv mit den von der eigenen Auffassung abweichen-den Positionen auseinandersetzt, Widersprüchlichkeiten achtet und respektiert. Das gehört auch zum Verständnis des Willens Gottes.

* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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