Kein Monopol auf den Willen Gottes

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Rabbiner Kaufmann Kohler lehrte: "Das Judentum hat keine abgeschlossene Wahrheit. Das Christentum und der Islam bilden einen Teil der Geschichte des Judentums. Zwischen diesen Weltreligionen nun steht das kleine Judentum als kosmopolitischer Faktor und weist auf jene ideale Zukunft einer in Gott wahrhaft vereinten Menschheit hin."

Welchen Begriff von "Wahrheit" vertritt dann das Judentum eigentlich? Schauen wir in den Talmud: "Drei Jahre stritten die Schule Schammais und die Schule Hillels: Jede meinte, das Religionsgesetz sei nach ihr zu entscheiden. Da sprach Gott: Die Worte der einen wie der anderen Schule sind Worte des lebendigen Gottes; jedoch ist das Religionsgesetz nach der Schule Hillels zu entscheiden. - Warum? Weil sie verträglich und bescheiden war und sowohl ihre eigene Ansicht als auch die der Schule Schammais studierte; noch mehr, sie setzte sogar die Worte der Schule Schammais vor ihre eigenen."

Den Rabbinern ist es wichtig, die Position des anderen zu respektieren und die eigene Meinung nicht absolut zu setzen: Das Talmudzitat zeigt, wie bedeutsam es ist, dass man sich konstruktiv mit den von der eigenen Auffassung abweichenden Positionen auseinandersetzt, diese achtet und respektiert. Im Judentum hat keine Lehrmeinung und keine Generation ein Monopol auf das Verständnis des Willens Gottes. Worauf es wesentlich ankommt, ist die sittliche Tat.

Rabbiner Leo Baeck sagt es so: "Religion soll nicht ein gutes Gewissen schenken, sondern das Gewissen in einen ständigen Zustand der Unruhe und Herausforderung versetzen. Nur dann ist sie wahrhaft Religion. Sie muss fähig sein und entschlossen, jeder geschöpflichen Macht Widerstand anzusagen und zu leisten, wenn es gilt, das Ewige zu verteidigen. Der Jude ist aufgefordert, den Sprung der Tat zu wagen, nicht so sehr den Sprung des Denkens."

Der Autor ist Rektor des Abraham- Geiger-Kollegs in Potsdam, der einzigen Rabbiner-Ausbildungsstätte im deutschen Sprachraum.

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