Barmherzigkeit ist der Schlüssel

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Der Prophet Mohammed erzählte folgendes Gleichnis: "Eine Prostituierte sah einen Hund, der nichts zu trinken fand und vor lauter Durst Schlamm leckte. So stieg sie aus Barmherzigkeit in einen Brunnen, füllte ihren Lederstrumpf mit Wasser, stieg wieder hinauf und gab dem Hund zu trinken. Gott vergab ihr daraufhin all ihre Sünden und ließ sie ins Paradies eingehen." Daraufhin wurde der Prophet gefragt: "Werden Menschen auch für die Barmherzigkeit gegenüber Tieren belohnt?" Er antwortete: "Belohnung gibt es für Barmherzigkeit, egal welchem Lebewesen gegenüber sie erbracht wird."

Als ich in meinem Seminar dieses Gleichnis erzählte, reagierte einer meiner muslimischen Studenten mit großer Skepsis. Er wollte nicht einsehen, dass die Prostituierte ins Paradies darf. Dies zeigte, dass Menschen im Allgemeinen dazu neigen, über andere zu richten. Im Gleichnis wird zweierlei deutlich: erstens, wir Menschen sind nicht in der Lage, über die Religiosität anderer zu urteilen, auch wenn die Umstände eindeutig zu sein scheinen. Wir kennen die Umstände, die Menschen zu abweichendem Verhalten führen, nicht. Es ist ein Zeichen der Demut, für die besseren Rahmenbedingungen, die einem selbst zur Verfügung stehen, dankbar zu sein. Zweitens bestätigt das Gleichnis eine weitere Aussage des Propheten: "Barmherzigkeit erntet nur Barmherzigkeit! So seid auf der Erde barmherzig, dann wird der, der im Himmel ist, zu euch barmherzig sein!"

Eine Tat, die in den Augen vieler unbedeutend ist, wie das Tränken eines durstigen Hundes, welche aber aus Barmherzigkeit geschieht, erntet das Wohlgefallen Gottes. Es kommt nicht auf die Größe der Tat an, sondern ob sie aus Barmherzigkeit vollbracht wird. In einer Welt wie heute, in der Menschen hungern und dursten, aber auch Gewalt und Mord auf der Tagesordnung stehen, ist ein Verständnis von Religiosität im Sinne der Befähigung zum Lieben, Helfen und Vergeben nötiger als je zuvor.

Der Autor ist Islamwissenschafter und Imam in Wien-Ottakring

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