Blutige Kunst, polarisierendes Werkzeug

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Wer geglaubt hat, der Stil von Hermann Nitsch sei ein Unikum, wird beim Anblick von Thomas Hirschhorns Arbeit ein groteskes Déjà-vu erleben.

Rot. Rot. Rot. Kurz und bündig lässt sich die Ausstellung „Das Auge“ von Thomas Hirschhorn in der Secession zusammenfassen. Denn der 1957 in Bern geborene Künstler hat den Hauptraum des Wiener Jugendstilmonuments in ein einziges rotes Schlachtfeld verwandelt. Bereits beim Betreten des sonst reduziert und leer wirkenden Saals wird der Besucher von der schaurig-üppigen Ästhetik des Schweizer Enfant terribles überrollt. Robbenbabys aus Plüsch mit roter Farbe bedeckt, rot bespritze Schaufensterpuppen in Pelzmänteln, Fotos von verstümmelten Leichen, dazwischen rote Fahnen und manifestartige Transparente mit einprägsamen Ausrufen. „Urlaub von der Revolution“ ist auf einem zu lesen, „Brutales Paradies“ auf einem anderen.

Bewusst schlecht

Die Sprache des Documenta 11-Teilnehmers ist eine brachiale, und dennoch entkommt einem beim Gang durch die vollgeramschte Secession immer wieder auch ein Schmunzeln. „Ich mache sie extra schlecht“, sagte Hirschhorn einmal über seine Rauminszenierungen und untergräbt somit die glatte Perfektion der Konsumästhetik. Bewusst greift er ganz in der Arte-Povera-Tradition auf billige Materialien zurück – verwendet Karton, Styropor, Alufolie, Klebebänder. Die alltäglichen Verpackungsmaterialien verdichtet er zu chaotischen Horrorszenarien, die eine Fülle von Assoziationen auslösen. Bilder von Kriegsgräueltaten stellen sich genauso ein wie Erinnerungen an Demonstrationen von Tierschutzgegnern oder der kunsthistorische Vergleich zu alten Schlachtenbildern und dem Orgienmysterien-Theater von Hermann Nitsch.

Hirschhorn selbst möchte seine Arbeiten inhaltlich nicht auf eine einzige Lesart festgeschrieben haben, setzt vielmehr auf den unmittelbar sinnlichen Eindruck des „Auges“. Zugleich ist er sich seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung als Künstler bewusst: „Ich benutze Kunst als Werkzeug, als Werkzeug, um die Welt kennenzulernen, als Werkzeug, um mich mit der Realität zu konfrontieren und als Werkzeug, um mich mit der Zeit, in der wir leben, auseinanderzusetzen.“

Politisch provokant

Hirschhorn ist einer der international erfolgreichsten Schweizer Künstler, der mit seinen Ausstellungen aufgrund der exzessiven Materialverwendung und der politisch-provokanten Anspielungen stets polarisiert. So kam es 2004 im Schweizer Kulturinstitut in Paris aufgrund seines Projekts „Swiss Swiss Democracy“, bei dem Hirschhorn unter anderem Folterbilder aus dem Irak mit dem Wappen der Schweizer Kantone kombinierte, zum Skandal. Nach Debatten im Parlament musste die Schweizer Kulturstiftung „Pro Helvetia“ sogar finanzielle Einbußen hinnehmen, da sie Hirschhorns „imageschädigende“ Schau unterstützt hatte.

Auch sein „Bataille-Monument“ gehörte im Jahr 2002 auf der Documenta 11 in Kassel zu den meistdiskutierten Projekten des Großereignisses. Inmitten einer multikulturellen, ärmlichen Wohnsiedlung realisierte Hirschhorn gemeinsam mit Anrainern seine mehrteilige, auf Kommunikation ausgerichtete Installation. Von den einen wurde sie aufgrund ihrer „ärmlichen“ Antik-Ästhetik, den philosophisch-literarischen Verweisen und der Kooperation mit türkischstämmigen Jugendlichen begeistert als Höhepunkt der Documenta gefeiert, von den anderen als Event kritisiert, das Migranten zur Verwirklichung von Kunst lediglich benutzt.

THOMAS HIRSCHHORN, DAS AUGE

Secession

Friedrichstraße 12, 1010 Wien

www.secession.at

Bis 7. 9. Di–So 10–18, Do 10-20 Uhr

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