Brecht braucht Brüche

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Warum "Happy End" am Wiener Volkstheater daneben ging.

Was passiert, wenn man den Theaterstil von Bertolt Brecht mit traditionellem Einfühlungstheater vermischt? Am Wiener Volkstheater zeitigt dieser Versuch kein "Happy End".

So lautet freilich der Titel des kaum gespielten Kuriosums mit Musik, das Brecht gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin und Muse Elisabeth Hauptmann entwickelt hat und das unter der Pseudonymen-Autorschaft Dorothy Lane 1929 erfolglos uraufgeführt wurde. "Happy End" ist eine Art Song-Komödie rund um das erlösungswütige Heilsarmee-Mädchen Lilian Holiday (Julia Cencig), das sich in einer Liebe-auf-den-ersten-Blick-Aktion in den Gangsterboss Bill Cracker (Gregor Bloéb) verschaut. Verbrecherbande versus Bekehrungstruppe ist also der magere Plot, der zahlreiche Versatzstücke aus der "Dreigroschenoper" und der "Heiligen Johanna der Schlachthöfe" vereint und keine kompakte Dramaturgie entwickeln will. So stehen beispielsweise Brechts Reflexionen zum Medien-Novum Radio als abgestandenes Staunen neben belanglosen, unausgearbeiteten Dialogen, die nur Kurt Weills Songs zusammenhalten. Diese dafür umso bedeutender, wie freudiges Wiedererkennungs-Raunen im Zuschauerraum den Bilbao-Song oder das Surabaya-Johnny-Lied goutieren. Trotzdem: Ein Königreich für einen Dramaturgen! Und ein zweites für einen Regisseur, der das bunt zusammengewürfelte Ensemble führt.

Während nämlich Erhard Pauers Regie einen Kompromiss zwischen Brechtschem Verfremdungstheater und intelligenter Unterhaltungskomödie versucht, machen die Schauspieler ihr eigenes Ding. Gregor Bloéb findet über den Gestus der Lächerlichmachens kaum hinaus. Als vertrottelter Ganove klebt er an der Bühnenrampe, eine schlechte Mackie-Messer-Karikatur, in die sich keine noch so missionarische Heilsarmee-Elevin der Welt verlieben würde. Schon gar nicht das Energiebündel Julia Cencig, die als ulkige Lilian mit der notwendigen Portion Ironie eine wunderbare Nummer aus ihrer Rolle zaubert. Alle anderen bleiben blasse Schießbudenfiguren ohne Tiefenwirkung. Erwin Ebenbauers salbungsvoller Heilsarmee-Capitain, Günter Franzmeier und Günther Wiederschwinger, die ihre Zwillings-Kleinformat-Verbrecher als platte Klamauk-Figuren schmieren oder Nina Proll, die das blonde DummerchenKlischee skizziert. Auch Isabel Weickens "Dame in Grau" - Brechts Lebens- und Arbeitsgefährtin Helene Weigel (?) in Kommentatorinnen-Funktion - bleibt unklar. Unter dem roten Mond der Chicagoer-Pappkarton-Bühne von Walter Schwab ist das Team als zweidimensionale Comic-Strip-Kontrastfolie zu sehen. Brecht braucht Brüche.

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