Das tragische Ende eines genialen Mathematikers

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Vor 100 Jahren wurde der britische Mathematiker Alan Turing geboren. Er gilt als Vater der Computerwissenschaften, war ein brillanter Kopf - und fand ein tragisches Ende.

Die wissenschaftliche Fachwelt begeht das Turing-Jubiläumsjahr 2012 gebührend. Weltweit beschäftigen sich heuer Hunderte Konferenzen, Symposien und Vorträge mit den bahnbrechenden Arbeiten Alan Turings. Dabei sind Leben und Werk des britischen Genies noch immer vergleichsweise wenigen Menschen bekannt.

Alan Mathison Turing wurde am 23. Juni 1912 als zweites Kind seiner Eltern John und Ethel geboren. Die beiden waren extra für die Geburt aus Indien nach England gereist, wo Turings Vater gerade bei der indischen Zivilverwaltung Karriere machte. Aus diesem Grund reisten die Eltern bald wieder zurück nach Indien. Ihre Kinder ließen sie, des besseren Klimas wegen, in der Obsorge einer Pflegefamilie in St. Leonards-on-the-Sea. Ein Ort, an dem das viktorianische Zeitalter sich beharrlich der Moderne verweigerte. Ihre Eltern sahen die Brüder nur wenige Monate im Jahr, wenn diese England besuchten. Der junge Turing war aufgeweckt und interessiert. In nur drei Wochen brachte er sich selbst das Lesen bei. Im Alter von zehn Jahren bekam Turing das Buch "Wunder der Natur, die jedes Kind kennen sollte“ von Edwin Tenney Brewster in die Hände. Es weckte sein tiefes Interesse an Naturwissenschaft, das nie wieder vergehen sollte. Mit 14 Jahren kam Turing in die traditionsreiche Sherborne School. Die-se legte den Schwerpunkt des Unterrichts auf Geisteswissenschaften, die Turing wenig interessierten. Seine Noten waren deshalb nicht die besten, der Schulerfolg stand mehrmals auf der Kippe.

Nach der Schule studierte Turing am King’s College in Cambridge Mathematik, an dem er anschließend ein Stipendium erhielt. Anfangs galt sein fachliches Interesse der Wahrscheinlichkeitstheorie und der physikalischen Mathematik. Doch bald wandte er sich der formalen Logik zu. So veröffentlichte Turing im Alter von erst 23 Jahren seinen wohl berühmtesten Aufsatz "Über berechenbare Zahlen mit einer Anwendung auf das Entscheidungsproblem“.

Symbole nach Regeln manipulieren

Darin beweis er, dass es kein allgemeines Verfahren gibt, um für eine beliebige gegebene mathematische Aussage zu entscheiden, ob sie formal beweisbar ist. Kern seiner Arbeit ist eine mathematisch saubere Präzisierung dessen, was man unter "Berechnung“ versteht. Turing erkannte, dass Rechnen nichts anderes ist, als Symbole - zum Beispiel Ziffern - nach bestimmten Regeln zu manipulieren. Er entwickelte deshalb das theoretische Konzept einer Maschine, die lediglich aus einem Schreib/Lesekopf und einem endlos langen, aus beschreibbaren Zellen bestehenden Band besteht. Gemäß einem Satz von Regeln kann sich der Kopf nach links oder rechts bewegen, Zeichen auf dem Band lesen, löschen oder neue schreiben. Diese simplen Schritte reichen im Prinzip aus, um all das zu tun, was heutige Computer können. Es ist heute allgemein anerkannt, dass eine solche Maschine alles berechnen kann, was sich überhaupt berechnen lässt. In der theoretischen Informatik sind die sogenannten Turing-Maschinen deshalb eines der zentralen Konzepte, um komplexe Theoreme zu beweisen.

1939 warb das Militär Turing als Codeknacker für ihre Kryptografieabteilung in Bletchley Park an. Als führender wissenschaftlicher Mitarbeiter gelang es Turing, eine Methode zu entwickeln, um Funksprüche der deutschen Kriegsmarine zu entschlüsseln. Bekannt ist vor allem Turings Beitrag zum Knacken der legendären Enigma-Verschlüsselungsmaschine. Nach dem Krieg arbeitet Turing am National Physical Laboratory bei London, in Cambridge und schließlich in Manchester an der Entwicklung der ersten Computer mit. Er beschäftigte sich dabei sowohl mit elektromechanischen Detailfragen als auch mit Programmierung. So schrieb er unter anderem das erste Schachprogramm. 1950 erschien ein weiterer wichtiger Aufsatz Turings: "Computing Machinery and Intelligence“ gilt als inoffizielles Gründungsdokument der künstlichen Intelligenz. Turing formuliert darin die Frage "Können Maschinen denken?“ um. Sein Kerngedanke: Wenn ein Mensch nicht mehr unterscheiden kann, ob er es mit einem anderen Menschen oder einer Maschine zu tun hat, darf letztere als intelligent bezeichnet werden. Turing entwarf deshalb einen heute nach ihm benannten Test. In moderner Form kommuniziert dabei ein Mensch über einen Bildschirm mittels Texteingaben mit einer anonymen Person. Gelingt es dabei einem Programm oder einer Maschine eine gewisse Zeit lang, den Menschen davon zu überzeugen, dass er mit einem anderen Menschen kommuniziert, gilt der Test als bestanden und das Programm als intelligent. Turing prophezeite maschinelle Intelligenz in diesem Sinn bis zum Ende seines Jahrhunderts. Bis dato hat es allerdings kein Programm geschafft, den Turing-Test zu bestehen.

1952 stellte eine bittere Wende in Turings Leben dar. Er wurde wegen Homosexualität - in England bis 1967 ein Strafdelikt - zu einer Haftstrafe verurteilt. Um diese nicht antreten zu müssen, erklärte er sich bereit zu einer "Therapie“ mit dem Hormon Östrogen. In der Folge erkrankte er an einer Depression. Im Jahr 1954, kurz vor seinem 42. Geburtstag nahm sich Turing mit Zyanid das Leben. Erst 2009 entschuldigte sich der damalige Premierminister Gordon Brown offiziell für dieses Unrecht.

Marathonläufer und Naturforscher

Alan Turing war eine vielschichtige Persönlichkeit mit zahlreichen Interessen. Er hatte tiefe Kenntnisse in Chemie, Biologie, Quantenphysik. Aber auch in Psychologie und Philosophie. Andererseits wird ihm das Bild eines intellektualisierten Denkers nicht gerecht. So war Turing ein begeisterter Marathonläufer. Seine Bestzeit lag bei 2:46 Stunden und hätte Mitte des 20. Jahrhunderts locker für eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen gereicht. In seinen letzten Jahren beschäftigte sich Turing mit der Suche nach mathematischen Mustern in der Natur. Erst in jüngerer Vergangenheit wurde entdeckt, dass Turing dabei Erkenntnisse der modernen Biologie vorwegnahm. So beschrieb er korrekt, wie in Tierfellen Muster entstehen. Dass Turing den rasanten Fortschritt der Computertechnologie nicht mehr für seine Forschung nutzen konnte, bleibt ein Verlust für die Wissenschaft.

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