Dekrete wider die Menschenrechte?

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Unter "BenesÇ-Dekrete" versteht man die provisorische legislative Tätigkeit, die der damalige ÇCSR-Präsident Edvard BenesÇ in Absprache mit der (Exil)-Regierung zuerst in London, dann in der befreiten Tschecholowakei fünf Jahre lang ausübte. Das erste Dekret - von insgesamt 147 - mit dem er sich zur provisorischen Gesetzgebung ermächtigte, wurde von ihm am 15. Oktober 1940 erlassen. Die letzten Dekrete tragen das Datum 27. Oktober 1945. Die provisorische Nationalversammlung, die am Tag darauf zum ersten Mal zusammentrat, hat sechs Monate später alle vom Präsidenten erlassenen Dekrete für gesetzeswirksam erklärt. Ziel der Dekretalgesetzgebung war die Behauptung der Kontinuität der tschechoslowakischen Staatlichkeit über die Zerschlagung der Tschechoslowakei hinaus: nichtig wurde - in den Worten von BenesÇ - alles was "uns durch Drohung, Terror und Gewalt aufgezwungen wurde".

Staatlich unzuverlässig

Auf Grundlage von fünf der Verfügungen wurden die im Lande lebenden Deutschen sowie die ungarische Minderheit ihrer politischen Rechte und wirtschaftlichen Lebensgrundlage beraubt:

* Zur entschädigungslosen Enteignung von Gegenständen heißt es (Dekret Nr. 5, Paragraf 4a, vom 19. Mai 1945): "Als staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen: Personen deutscher oder magyarischer Nationalität." Ihr Eigentum war nach Paragraf 2.1 "unter nationale Verwaltung zu stellen".

* Zur entschädigungslosen Enteignung von Immobilien heißt es (Dekret Nr. 12, Paragraf 1.1a, vom 21. Juni 1945): "Mit sofortiger Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht: aller Personen deutscher und magyarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit."

Straffreiheit garantiert

* Zur Ausbürgerung heißt es (Dekret Nr. 33, Paragrafen 1.1 und 1.2, vom 2. August 1945): "Die tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität, die nach den Vorschriften einer fremden Besatzungsmacht die deutsche oder magyarische Staatsbürgerschaft erworben haben, haben mit dem Tage des Erwerbs dieser Staatsangehörigkeit die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren. Die übrigen tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität verlieren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit dem Tage, an dem dieses Dekret in Kraft tritt."

* Zum Schutze vor Strafverfolgung heißt es in einem am 8. Mai 1946 von der Prager Nationalversammlung erlassenen Gesetz: "Eine Handlung, die zwischen dem 30. September 1938 und dem 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde, um einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, (...) ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre."

Bei den meisten Dekreten bestand ein Widerspruchsrecht. Im Chaos der Nachkriegszeit herrschten aber weder Atmosphäre noch amtliche Voraussetzungen für eine detaillierte Prüfung. Nach Ansicht von Juristen beruhen viele der Dekrete, die nie aufgehoben wurden, auf dem Prinzip einer Kollektivschuld der deutschen und ungarischen Minderheit. Dies würde aber den allgemeinen Menschenrechten widersprechen.

Einen Lösungsvorschlag in der Frage der Rechtsgültigkeit der BenesÇ-Dekrete hat nun der Linzer Universitätsprofessor für Völkerrecht Manfred Rotter gemacht: Da Tschechien Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechts-Konvention ist, sollte Österreich die Frage der BenesÇ-Dekrete vor den Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg bringen. "Damit würden sich das politische Hick-Hack und die Diskussion um den EU-Beitritt der Tschechischen Republik erübrigen."

Straßburg anrufen!

Der Menschenrechts-Gerichtshof hätte laut Rotter zu entscheiden, ob die BenesÇ-Dekrete erstens gegen die Menschenrechte verstoßen und zweitens, ob diese umstrittenen Regelungen auch heute in Tschechien noch Geltung haben. "Der Menschenrechts-Gerichtshof ist eine moralisch und rechtlich über jeden Zweifel erhabene Instanz, seine Entscheidung würde auch von der Tschechischen Republik anerkannt", so Rotter. "Sollten Teile der Dekrete tatsächlich noch geltendes Recht sein und der Menschenrechts-Gerichtshof bemängelt dies, so hätten Parlament oder Regierung in Prag auch innenpolitisch keine Probleme, dies zu reparieren." WM

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