Ein Durchführer, kein Führer

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Edvard BeneÇs - wer war der Staatsmann der den Dekreten, die immer noch und immer wieder in aller Munde sind, seinen Namen gab? Historiker zeichnen ein zwiespältiges Bild und zeigen, dass Politiker allein von gutem Willen beseelt, aber ohne Konzept, in die Katastrophe führen können. Eine Warnung auch für das Heute.

Solange wir nicht eine vollkommene bürgerliche Gleichheit, eine vollkommene demokratische Ordnung einführen, so dass sich die Deutschen uns in jeder Hinsicht gleichberechtigt fühlen, selbst wenn sie weniger sind, so lange haben wir kein Recht, einen tschechischen Staat zu fordern." Auf die Frage, welcher tschechische Politiker 1935 diese Forderung erhoben hat, würden wohl die wenigsten auf Edvard BenesÇ tippen. Zu sehr ist sein Name mit der Vertreibung der Sudetendeutschen aus Böhmen und Mähren nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Zu sehr sind die nach ihm benannten diesbezüglichen Dekrete für die einen Unrechtsgesetzgebung, für die anderen jedoch Symbol der zweiten Staatsgründung nach dem Münchner Abkommen 1938 und der damit erfolgten Zerschlagung der Tschechoslowakei.

Doch Edvard BenesÇ (1884 bis 1948) lässt sich nicht so eindeutig auf eine Rolle, sei es die des Guten oder des Bösen, festlegen. "Seine Rolle war mehr als zwiespältig", meinte, ja klagte Tschechiens Botschafter JiÇri GrusÇa dieser Tage bei einer Buchbesprechung in den Räumen des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts in Wien. Im präsentierten Buch über den tschechischen Staatsmann rechnet GrusÇa dann sehr harsch und eindeutig mit Person und Politik von BenesÇ ab: "Im Zweikampf mit seinem ehemaligen kakanischen Landsmann aus Braunau gab unser erster Mann klein bei. Verteidigte nicht die Demokratie, wofür er auch viele Deutsche der Zeit hätte gewinnen können, sondern wollte das Sozial-Nationale retten. Er kapitulierte und brach seinem Volk das Rückgrat."

Demokratie verraten

Für die Zeit nach dem Krieg geht der Botschafter mit seinem ehemaligen Präsidenten und dessen Hinwendung zum Kommunismus noch härter ins Gericht: "Er fuhr so lange über den Osten heim, bis von seiner westlichen Demokratieauffassung ein besserer Torso blieb. Und auch jetzt trotzte er nicht dem völkischen Sozialismus seiner Landsleute. Mit seiner Unterschrift legitimierte er dessen Machtergreifung. Er rettete zwar die Tschechoslowakei - aber nicht die Demokratie."

Edvard BenesÇ war viele Jahre enger Mitarbeiter von Staatsgründer TomásÇ Masaryk und profilierte sich bei den Pariser-Friedensverhandlungen im Jahre 1919. Hier kam der erst 35-jährige Außenminister zum ersten Mal in praktische Berührung mit der Nationalitätenfrage, musste er doch den Anspruch der Tschechoslowakei auf Gebiete vertreten, die mehrheitlich von anderen Nationalitäten besiedelt wurden. Laut BenesÇ in Paris sollte die künftige Tschechoslowakei am Modell der Schweiz ausgerichtet sein: "Als Grundlage der Rechte der Nationalitäten" beabsichtige die tschechoslowakische Regierung, so BenesÇ, die Grundsätze anzunehmen, die "in der Verfassung der schweizerischen Republik Anwendung gefunden haben, das heißt sie hat die Absicht aus der ÇCSR eine Art Schweiz zu machen". Das ist jedoch in zweifacher Hinsicht nicht gelungen: Erstens blieb die Tschechoslowakei in der Nationalitätenfrage weit hinter der Schweizer Vorgabe zurück, zweitens gelang es der ÇCSR unter BenesÇ keineswegs sich aus dem Krieg herauszuhalten.

Jaroslav KucÇera, Historiker an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität in Prag, attestiert BenesÇ jedoch zumindest guten Willen bei der Lösung der Nationalitätenkonflikte in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit. An was es ihm aber gemangelt habe, sei ein geschlossenes Konzept gewesen. Die deutsche Gesandtschaft in Prag verband mit der Politik von BenesÇ ausdrücklich optimistische Erwartungen: Er werde versuchen, "wenn nicht einen nationalen Ausgleich, so doch ein besseres Verhältnis der Regierung zu den Deutschen einzuschlagen". BenesÇ wurde demnach nicht als nationaler Radikaler angesehen. Er wisse ganz gut, schrieb in diesem Sinne ein deutscher Senator, dass "es im Interesse des Staates liegt, im Inneren Frieden zu machen, er sieht die Gefahren des tschechischen Chauvinismus", aber er gehe zu ängstlich vor, er handle wie ein Arzt, der sich durch Verschreibung allzu vorsichtiger und schwacher Heilmittel um den Erfolg bringe. Ein Punkt den auch Botschafter GrusÇa rückblickend kritisiert: "BenesÇ ahnte nicht, dass der Unterschied zwischen Staatsmann und Sekretär eben die Fähigkeit ist, zu führen - nicht durchzuführen."

Erst im April 1938, als die innen- und außenpolitischen Risiken für den tschechoslowakischen Staat bereits enorm waren, entfaltete BenesÇ eine wirkliche Initiative auf dem Gebiet der Nationalitätenpolitik. Er stellte die verhältnismäßige Teilnahme der einzelnen Nationalitäten am Staatshaushalt, im Staatsdienst, im Schulwesen und den rechtlichen Schutz vor Entnationalisierung sowie Kontrollmechanismen, die die Einhaltung der Zusagen inspizieren sollten, in Aussicht. Das Entgegenkommen der Regierung ging soweit, dass die Sudetendeutsche Partei in ihrer Agitation gegen Prag derart in die Defensive gedrängt wurde, dass sie die Verhandlungen lieber unterbrach. BenesÇ' Vorschläge erscheinen aber auch im Nachhinein, so KucÇera, als ein derart radikaler Bruch mit dem vorausgehenden Kurs, dass sie als Finte und als nicht besonders glaubwürdig erscheinen.

"Heim ins Reich!"

Als "letzte verzweifelte Antwort auf die Heim-ins-Reich-Parolen der Sudetendeutschen Partei, die bei den Kommunalwahlen des Jahres 1938 neun Zehntel der Stimmen der deutschen Wähler gewonnen hatte", interpretiert Detlef Brandes, Professor am Düsseldorfer Institut für die Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, den sogenannten "Fünften Plan" des Präsidenten: "Ein Drittel der Sudetendeutschen könne die Tschechoslowakei durch Abtretung bestimmter Grenzgebiete loswerden, ein Drittel sollte ausgesiedelt werden und ein Drittel, besonders die Demokraten, Sozialisten und Juden, könne im Land bleiben."

An diesem Plan hielt BenesÇ, laut Brandes, während des Krieges fest. Die Gebiete, an deren Abtrennung von der Republik BenesÇ dachte, wurden aber schrittweise kleiner. Und auch die Zahl von 800.000 Deutschen, die laut Memorandum vom November 1944 noch in der Tschechoslowakischen Republik bleiben durften, war illusorisch. Von diesen verlangte man nämlich den Widerstand gegen Hitler vor und nach dem Münchner Abkommen und die Bereitschaft zur Tschechisierung.

Ein Mix aus mehreren Gründen führte schlussendlich zur Ausweisung der Deutschen: Einerseits setzten BenesÇ die Forderungen und Proteste der Widerstandsbewegung in der Heimat unter Druck. Die Sudetendeutschen im Exil kamen ihm andererseits kaum entgegen. Außerdem stimmten die Alliierten, die Sowjetunion sowieso, dem Transfer von deutschen Minderheiten zu. Und die Enttäuschung über die fehlende Loyalität der Sudetendeutschen mag ein zusätzlicher Grund gewesen sein, dass BenesÇ die Ausweisung per Dekret festschrieb. Diese Rolle kannte er ja bereits, und sie kam ihm gelegen: durchführen, statt zu führen.

Edvard Benes und die tschechoslowakische Aussenpolitik 1918-1948 Arnold Suppan und Elisabeth Vyslonzil (Hg.). Peter Lang - Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt 2002 195 Seiten, brosch., e 35,30

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