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Die Demokratie der „Tribuna“

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Bern, im November

Im Kalten Krieg zwischen den Demokratien und den kommunistischen Staaten hat sich im Laufe der letzten Jahre ein merkwürdiges Phänomen ergeben. Während die totalitäre Diktatur Moskau-Prags den in der Tschechoslowakei verbliebenen Sudetendeutschen — die man mit den deutschen Partnern der Mischehen auf eine halbe Million schätzt — die seit dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands annullierten Sprachenrechte wieder gibt, ist die in der demokratischen Front des Westens stehende tschechoslowakische politische Emigration in ihrer Mehrheit nicht geneigt, die Kollektiventrechtung und -aussiedlung der sudetendeutschen Bevölkerung, die in der alten Tschechoslowakei 3,2 Millionen Seelen überschritten hat, im Sinne der Menschenrechte zu revidieren.

Die Kommunisten, die 1945 als die demagogischesten Rufer nach konsequenter Vertreibung der Sudetendeutschen aufgetreten waren — sogar die deutschen Antifaschisten, die mit ihnen in der Widerstandsbewegung gegen die Nazis gekämpft hatten, sollten das Land verlassen, um das deutsche Volk jenseits der Grenzen umerziehen zu helfen —, änderten ihre nationalistische Devise 14 Monate nach ihrer Machtergreifung in der CSR, auf dem IX. Kongreß der KPC im Frühling 1949. Damals wurde erklärt, die Interessen des tschechoslowakischen und des deutschen Volkes seien identisch: ein Flugblatt erschien, in dem ausgeführt wurde, die politischen Ereignisse des Februar 1948 hätten auch für die deutschen Werktätigen in der CSR (also in der Hauptsache für die von der Aussiedlung 1945—1947 ausgenommenen Facharbeiter und Spezialisten, die man brauchte, um die In dustrie nicht zu gefährden) einen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Umsturz gebracht. Träger des bourgeoisen Nationalismus und des Deutschenhasses seien das Bürgertum und seine Helfershelfer gewesen: durch seine Niederlage entstünden Voraussetzungen zur Lösung des Nationalitätenproblems in der CSR, eine historische Tatsache, aus der für die deutschen Werktätigen in der Tschechoslowakei große Entwicklungsmöglichkeiten von weittragender Bedeutung erwüchsen. Man weiß, daß diese Möglichkeiten seit damals verwirklicht worden sind: seit 1950 wurde allen in der CSR verbliebenen Sudetendeutschen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verliehen, und am 7. Mai 1953 wurden alle in der CSR lebenden Sudetendeutschen durch ein neues Gesetz automatisch wieder zu tschechoslowakischen Staatsbürgern. Seit 1951 nehmen sie an den kommunistischen Maifeiern teil und tragen schwarzrotgoldene Fahnen und Standarten mit deutschen Aufschriften in den Umzügen mit. Seit 1952 werden in der CSR wieder Lehrer für die deutsche Sprache ausgebildet, seit Herbst 1953 wird in 65 Städten und Dörfern der CSR Deutschunterricht für sudetendeutsche Kinder erteilt; es gibt deutsche Zeitungen und Zeitschriften; die nationalisierten Unternehmungen, die eine größere Anzahl von deutschsprachigen Arbeitern beschäftigen, werden aufgefordert, ihre Betriebszeitschriften doppelsprachig herauszugeben; das Nationalunternehmen „Kniha“ („Das Buch") verbreitet deutsche Literatur und deutsche Uebersetzungen volksdemokratischer Autoren: Kulturensembles aus der Deutschen

Demokratischen Republik spielen vor sudetendeutschem Publikum; und die Schaffung des „Deutschen Wandertheaters in der CSR“ ist der vorläufig letzte Akt dieser Revolution seit der Kollektivächtung jedes deutschen Wortes nach dem 9. Mai 1945.

Die offizielle tschechoslowakische Emigration ist mit Ausnahme der Gruppe des Generals Lev P r c h a 1 a, die im August 1950 in einem Abkommen mit dem Schutzverband zur Wahrung sudetendeutscher Interessen in München das Recht der Sudetendeutschen auf Rückkehr in ihre Heimat festgelegt hat, und einiger weiterer tschechischer und slowakischer Organisationen kleineren Umfangs im Gegensatz zur Entwicklung in der Tschechoslowakei selbst zu einer Aenderung ihres Standpunktes in der Sudetendeutschen- Frage bisher nicht bereit. Es hat sich gerade in den letzten Wochen bei den Reorganisationsbestrebungen innerhalb des geteilten „Rates der Freien Tschechoslowakei“ gezeigt, daß auch Prof. Väclav Hlavaty, ein in Amerika lebender tschechischer Gelehrter von internationalem Ruf, von dem man einen neuen Auftrieb der Exilarbeit erwartet, in seinem Programm an der Aussiedlung der Sudetendeutschen f e s t h ä 11, entsprechend dem „Wunsche des Volkes“, wie er sagt. Die Londoner Exilzeitschrift „Cechosloväk“ hat in ihrer Ausgabe vom 15. Oktober einen offenen Brief von Vertretern der „Jungen Generation“ an den „Rat der Freien Tschechoslowakei“ veröffentlicht, in dem es gleichfalls heißt: „W i r lehnen die Bestrebungen um Revision der Aussiedlung der Sudetendeutschen a b.“

Das Orgjn des „Tschechoslowakischen Auslandsinstitutes im Exil“, die in Leyden in Holland von einigen tschechischen Sozialisten herausgegebene „Tribuna“, bemüht

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