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Die große Tragödie

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Während die österreichische Emigration im 2. Weltkrieg Mitglieder aus allen Lagern, von Monarchisten bis zu Sozialisten und Kommunisten, umfaßte, bestand die sudetendeutsche Emigration nur aus Sozialisten. Dies ist begreiflich. Knapp vor dem Anschluß der Sudetengebiete an das Dritte Reich hatten sich 80 Prozent der Sudetendeutschen zur Partei Konrad Henleins bekannt. Nach dem Anschluß Österreichs hatten sich die Deutsche Christlich-soziale Partei und ebenso die Deutsche Landwirte- Partei der CSR aufgelöst. Übriggeblieben war nur die Deutsche Sozialdemokratische Partei. Ihr Leader war Wenzel Jaksch, geboren 1896 im Böh- meswald, sehr bald schon der Sozialistischen Partei zugetan und im Umweg über Verbandssekretär und Redakteur sowie als erfolgreicher Versammlungsredner die Parteistufen immer höher hinaufsteigend. Als die Hitler-Gefahr immer größer wurde, wurde er schließlich zum anerkannten Führer der sozialistischen Sudetendeutschen gewählt. Er stand in der Tradition des berühmten sudetendeutschen sozialistischen Reichstagabgeordneten Seliger, der 1918 und 1919 das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht für die Sudetendeutschen forderte. Dais gab Jaksch manchmal den Anschein, als würde er national denken, wobei nicht übersehen werden darf, daß der Nationalismus in den böhmischen Ländern überall herauslugte. 1939, nach der Besetzung Prags, ging Wenzel Jaksch in ‘die Emigration nach London und traf hier einen anderen berühmten Exilierten aus Böhmen: Dr. Benes. Beide Männer verstanden sich zunächst sehr gut. Bald aber gingen ihre Wege auseinander. Dr. Benes vertrat zunächst die Redhtskontinudtät der untergegangenen Moldaurepublik. Von diesem Standpunkt aus mußte er die Minderheitenrechte der nichttschechischen und slowakischen Völker anerkennen. Dieser Standpunkt hatte auch noch einen sehr realen Hintergrund: Dr. Benes wollte so bald wie möglich tschechoslowakische Armee-Einheiten aufstellen. Da aber zunächst mehr sudetendeutsche als tschechische Flüchtlinge sich im Ausland befanden, mußte Benes sich auf den Standpunkt der alten Republik stellen. Jaksch aber wollte die Gelegenheit benützen, um gleich mehr zu erreichen: die endgültige Gleichstellung der Deutschen mit den Tschechen. Da ihm diese nicht garantiert wurde, lehnte er den Eintritt in den von Dr. Benes gebildeten Staatsrat ab. Das tolerante Verhältnis Doktor Beneš’ zu den Sudetendeutschen wurde immer intransigenter. Teils unter dem Eindruck der Verfolgung der Tschechen in den böhmischen Ländern, teils durch das immer stärkere Auftreten Rußlands. Dr. Beneš fürchtete einfach, daß ihm die Zügel der Politik aus der Hand gleiten würden, wenn er den nationalistischen Kurs der Politik nicht mitmachen würde. Und so wurden denn immer weitergehende Pläne aufgestellt, was mit den Deutschen der Moldaurepublik nach dem Krieg zu geschehen habe. Die Anfangspläne, noch fast harmlos, saihen eine teilweise Abtretung sudetendeutscher Gebiete und ein Zusammenziehen der deutschen Bevölkerung auf drei bestimmte Gebiete vor. Diese Pläne wurden immer dünner, bis sie schließlich bei dem Beschluß endeten, die Deutschen ganz aus den böhmischen Ländern auszutreiben, ein Beschluß, der durchgeführt wurde. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß zur gleichen Zeit K. H. Frank in Prag sehr detaillierte Pläne über die Umsiedlung der Tschechen nach dem Krieg, beziehungsweise deren totale Ger- manisierung ausarbeiten ließ.

Zwei Bücher befassen sich mit dieser Rolle Wenzel Jaksch’ in der tragischen Geschichte der sudetendeutschen Emigration. Das Werk von Bachstein, „Wenzel Jaksch und die sudetendeutsche Sozialdemokratie”, erschienen in den Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, ist die beste Darstellung über diese imponierende Gestalt eines im Grunde genommen letzten k. k. Sozialdemokraten. J. W. Brügel, einst Sekretär des deutschen sozialdemokratischen Ministers Cech, dagegen nimmt in seinem Buch „Tschechen und Deutsche 1939 bis 1946” manchmal recht scharf Stellung gegen die Politik, die Jaksch in der Emigration betrieb. Seiner Meinung nach wäre ein Zusammengehen mit Beneš auf jeden Fall für die Sudetendeutschen günstiger gewesen. Im nachhinein allerdings ist es immer leichter, recht zu behalten. Wahrscheinlich wäre die Entwicklung dennoch die gleiche geblieben. Denn um die tschechischen Massen zu gewinnen, schaltete Moskau in Böhmen ganz auf den nationalistischen Kurs um und forderte energisch die totale Ausweisung der Deutschen. Aber auch aus den Zeilen Brügels liest man die Bewunderung für den heroischen Kampf, den Wenzel Jaksch gegen Hitler und für sein Volk führte.

WENZEL JAKSCH UND DIE SUDETENDEUTSCHE SOZIALDEMOKRATIE. Von Martin K. Bachstein. Verlag Oldenbourg, München, 306 Seiten.

TSCHECHEN UND DEUTSCHE 1939—1946. Von J. W. Brügel. Nymphenburger Verlagsanstalt, München. 325 Seiten, S 500.—.

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