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Noblesse des Herzens
Als die Truppen der Warschauer- Pakt-Staaten die Tschechoslowakei besetzten, wäre es menschlich nur zu begreiflich gewesen, daß die vertriebenen Sudetendeutschen einem aufkommenden Gefühl der Genugtuung nicht widerstehen könnten. Aber nichts dergleichen geschah. Die offiziellen Sprecher der vertriebenen Sudetendeutschen ließen in ihren Aufrufen, die aus Anlaß der Besetzung veröffentlicht wurden, nicht nur keinerlei Revanchegelüste aufklingen, sie zeigten vielmehr größtes Mitleid für die schweren Schicksale ihrer alten Heimat und forderten die Sudetendeutschen auf, den Tschechen und Slowaken jedwede Hilfe zu leisten.
„Die Sympathie der Sudetendeutschen“, verkündete der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Dr. Walter Bechere, „gehört den Völkern ihrer alten Heimat, die nun ein erneutes Mal keineswegs befreit, sondern von einer imperialistischen Weltmacht unter fremde Botmäßigkeit gezwungen werden. Die Sudetendeutschem wissen sich mil Tschechen und Slowaken in aller Welt in der Überzeugung einig, daß Friede und Freiheit ihrer Heimat nur in einem in Freiheit verbündeten Europa der Zukunft gesichert werden können. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft fordert alle ihre Kreisverbände auf, den Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei zur Seite zu stehen.“
Und Dr. Kindermann, Weihbischof von Limburg, einst Professor an der Prager theologischen Fakultät, Leiter des Vertriebenenseminars in Königstein, wandte sich mit einem persönlichen Schreiben an alle sudetendeutschen Priester, in dem es hieß: „Im Geiste christlicher Verbundenheit bitte ich Euch, sudetendeutsche Mitbrüder, in diesen Tagen mit Euren Gemeinden ganz besonders im Gebete unserer in neue Unfreiheit getroffenen Brüder und Schwestern zu gedenken. So bleiben wir über alle Grenzen und Hindernisse hinweg gerade in diesen Tagen verbunden.“
Es gab nicht viele Momente in der böhmischen Geschichte, da sich die Völker Böhmens einig fühlten und miteinander verbunden. Jetzt ist einer dieser wenigen Augenblicke da. Und mit Wehmut muß man sich fragen, ob denn erst alles dieses Leid kommen mußte, damit sich die Völker Böhmens zu dieser Anschauung durchgerungen haben. Wieviel Leid wäre erspart geblieben, hätten beide Völker immer so gehandelt und gedacht.
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