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Österreichs Schicksalsfrage
Zwischen Zentralismus und Föderalismus. Von Helmut Slapnicka, Holzner-Verlag, Kitzingen. 100 Seiten
Zwischen Zentralismus und Föderalismus. Von Helmut Slapnicka, Holzner-Verlag, Kitzingen. 100 Seiten
Den älteren Oesterreichern ist noch wohlbekannt, eine wie große Zahl initiativer und konstruktiver Kräfte bis zum Zusammenbruche der Donaumonarchie aus dem sudetendeutschen Raum in ihr heutiges Staatsgebiet strömte. Heute, da die Erinnerung daran allmählich schwindet, verdient diese Tatsache eine rückscbauende Darstellung. Eine solche wird gleichzeitig dazu verhelfen können, einem fernerstehenden Kreise gegenüber manches Irrige oder propagandistisch Verfärbte richtigzustellen.
Der Verfasser, als genauer Kenner der sudetendeutschen Problematik und Geschichte bekannt, hat seine Arbeit übersichtlich und logisch aufgebaut. Der erste Teil schildert den Anteil der Sudetendeutschen an der Gestaltung des österreichischen Verfassungs- und Verwaltungslebens von 1848 bis 1918. Im Uebergang vom Vormärz zum Konsti- tutionalismus finden wir bereits die Namen der Minister Kolowrat, Pillerstorf und Baumgartner, in der Aeta des Absolutismus Kübeck. Schwarzenberg und Leo Thun. Mit dem Wiederaufbau des Parlamentarismus w'ächst die Zahl der in leitende Staatsamter berufenen Sudetendeutschen: Prato-
bevera, Belcredi. Korners. Giskra, Joh. Nep. Berger, Ignaz Plener. Hasner. Glaser. Czörnig, Banhans, Chlumecky, Forster. Korb-Weidenheim. Friedrich Schönborn. Alfred Windischgrätz. Redlich und Aehrenthal —- es ist fast unmöglich, auch nur die Wichtigsten in voller Zahl zu nennen. Waren doch von 170 Ministern, die von 1861 bis 1918 ihr Amt usübten, etwa ein Viertel Sudetendeutsche: fast alle erstrangige Amtsträger von eindringender Sachkenntnis und hohem Arbeitsgeist. Bedeutend war auch der Anteil des böhmischen Adels in der Diplomatie, doch größer jener der Sudetendeutschen an Parlamentariern. Schriftstellern und Wissenschaftlern. wobei die Rechtshistoriker hervorragten. Es ist schade, daß das Verdienst, das sich Sudetendeutsche um die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft vor allem der Industrie, erworben haben, außerhalb des Rahmens dieses Buches lag.
Der ..Böhmische Ausgleich“, das Problem der nationalen Befriedung im Sudetenraum, war bekanntlich eine österreichische Schicksalsfrage ersten Ranges. Er ist immer wieder gescheitert, da sich soziologische Momente ebenso hineinmengten wie staatspolitische. Er war die Crux aller österreichi schen Regierungen, und doch ist von zentraler Stelle viel daran verdorben worden, betrachteten doch manche Regierungen die Sprachenfrage als eine Art Dispositionsfonds, aus dem sie ihre parlamentarischen Bedürfnisse bestritten. War endlich einer der beiden Partner verhandlungsbereit, so war es der andere nicht: Die komplexe Proble- fnatik einer Zeit, da ihre zahlenmäßige Ueberlegen- heit die slawischen Völker Oesterreichs den Deutschen gegenüber in den Vordergrund rückte, als deren Bildungsmonopol und kurienmäßig gegründetes Parlamentsübergewicht geschwunden war.
In diesen Auseinandersetzungen spielte die Frage, ob die Neuordnung „zentralistisch" oder „föderalistisch" erfolgen solle, eine überragende Rolle. Waren doch die Sudetendeutschen im Kronland Böhmen selbst eine Minderheit und von den im Alpenraum kompakt siedelnden Deutschen durch eine breite slawische Barriere getrennt. So mußten sie einen Wiener Zentralismus einem Prager Zentralismus vorziehen und anderseits darnach streben, innerhalb des ersteren einen von den Tschechen möglichst abgesonderten Teil zu bilden.
Diese Probleme einer für beide Nationen be friedigenden Neugestaltung im böhmisch-sudetendeutschen Raum stellt der Verfasser im zweiten Teil seines Werkes dar. Sie sind zum Schaden Europas niemals, auch heute nicht, gelöst worden.
Die politische „mäsze". die der Verfasser den Sudetendeutschen (S. 76 ff.) zuerkennt, haben sie freilich nicht immer erwiesen. Sie übertrugen allzuoft die hartnäckige und gereizte Form des nationalen Schützengraben-Kleinkrieges auf die größere Bühne des politischen Geschehens und dessen Tribüne. Sie konnten sich von der Tosephinischen Idee der Präponderanz des und der Deutschen in der Habsburgermonarchie und vor allem in ihrem Raum, die diesem Herrscher das Mittel zur straffsten Zentralisierung der Gewalten geben sollte, allzu schwer trennen, als es dazu noch Zeit war. Es ist menschlich begreiflich, daß es so war, aber es war zu ihrem Schaden — wie zu dem ihrer tschechischen Schicksalsgenossen, die. als sie genügend erstarkt waren, in den gleichen psychologischen Fehler verfielen. Schicksal Böhmens — Schicksal Oesterreichs — Schicksal Europas! Und doch, wo ist trotz aller Unzulänglichkeiten das Nationalitätenproblem besser gelöst worden als in Oesterreich?
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