Der alte Mann und der Turm des eigenen Ichs

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Peter Simonischek spielt Henrik Ibsens „Baumeister Solness“ am Grazer Schauspielhaus: ein spätsommerlicher Taumel, ein erotischer Spuk. Neben dem Burg-Star tritt alles andere in den Hintergrund, die Regie von Intendantin Anna Badora bleibt seltsam unauffällig.

Ein mintgrüner Kubus schiebt sich in den Bühnenraum. Nach vorne hin erweitert, gibt er nach hinten den Blick in einen Himmel frei, über den helle weiße Wölkchen ziehen. Dazwischen greift Ibsens Seelenspiel um sich. Schiefe Ebenen machen das Leben und Arbeiten hier schwer. Und gearbeitet wird unwahrscheinlich viel. An sich und an den anderen. Tiefe Löcher werden gegraben. Türme werden errichtet, von denen man die beste Aussicht auf sein schuldbelastetes Inneres hat. Von denen man für ein glückliches Ende abstürzt.

„Baumeister Solness“ erzählt eine polternde Liebesaffäre, eine bizarre Entblößungsgeschichte, über der in großen Lettern geschrieben steht: Halte Gerichtstag über das eigene Ich! Bei Ibsen braucht es dafür immer einen Skandal und radikale Frauen, die das dafür Unmögliche tun: lügenhafte Ehen verlassen oder sich erschießen. Ibsens Theater ist dabei immer eine unvergleichlich wirksame Kombination von tugendhaftem Ehrgeiz und bühnengerechtem Raffinement – man kann es auch bitterer sagen: von aufklärerischer Gesinnung und unmenschlicher Dramaturgie.

Auch Baumeister Solness hat das, was man „so doch eigentlich nicht tut“, getan: an einem Septembertag viele Male ein zwölfjähriges Mädchen geküsst und ihr ein Königreich versprochen. Und noch etwas Unerhörtes hatte Solness an jenem Tag gewagt: Zum ersten Mal war er, ein zeitlebens von Schwindel und Höhenangst geplagter Mann, auf das Gerüst seines Bauwerks geklettert, unerschrocken bis nach oben. Der Augenblick auf dem Kirchturm da oben und die Umarmung mit dem schönen Mädchen, das war für den skrupellosen und düsteren Karrieremann, dessen Erfolg auf dem Unglück seiner Mitmenschen gründet, das Glück gewesen.

Das Glück als rotgelocktes Fräulein

Peter Simonischek spielt die Titelrolle: Kein lebensmüder Mann ist das, nicht einmal ein gealterter, sondern einer, den sein Gewissen und seine Ängste triebhaft plagen. Noch regiert er wie ein launischer Gott über seine verschüchterten Mitmenschen. Auch über die Grazer Inszenierung. Anna Badoras Regie schwebt unablässig als unauffälliger Trabant über Simonischeks Haupt. Waghalsig war allein die Besetzung der Hauptrolle. Nur Steffi Krautz als schmerzhafte Ehefrau berührt hier noch, wenn Solness kraftvoll bis an seinen innersten Punkt hinaufsteigt, an dem das Glück als junges rotgelocktes Fräulein auf der Bühne steht.

Mit der begabten Jungschauspielerin Verena Lercher in der Rolle der Hilde Wangeis erscheint die lebendige Verheißung. Eine fröhlich zwitschernde Märchenfigur, eine Pippi Langstrumpf mit Interrail-Ticket, die den Baumeister ungehemmt becirct und zum letzten Coup anstiftet: noch einmal heroisch-grotesk ein Turmgerüst zu besteigen. Solness stürzt ab. Baumeister Ibsen hat den letzten Akt geplant.

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