Der Blick auf das ganz Kleine und das ganz Große

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Die Albertina zeigt unter dem Titel "Fotografie und das Unsichtbare" wissenschaftliche Fotografien aus dem 19. Jahrhundert, die damals völlig neue Ein- und Durchblicke eröffneten.

Ich seh etwas, das du nicht siehst … Schon das altbekannte Kinderspiel macht klar, dass Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit eines Motivs nicht nur mit diesem selbst zu tun haben, sondern ebenso mit unseren Möglichkeiten der Wahrnehmung. Denn die Unsichtbarkeit des angepeilten Gegenstandes besteht für die Mitspieler darin, dass er außerhalb ihres momentanen Gesichtsfeldes liegt, beziehungsweise darin, dass sie noch nicht richtig fokussiert haben. Die Spielregeln können einen durchaus größeren Geltungsbereich beanspruchen, als man ihn üblicherweise einem Kinderspiel zutrauen würde. Vorgeführt wird dies von wissenschaftlichen Fotografien, von den Ursprüngen dieser Technik bis ins Jahr 1900, die derzeit in der Albertina zu sehen sind.

Milben, Läuse, Flöhe

Vor allem der Blick auf das ganz Kleine und das ganz Große betrieb das Kinderspiel nun im Kontext seriöser Wissenschaft weiter. Immer wieder waren bei der Entwicklung der Fotografie und der optischen Linsen dieselben Tüftler am Werk, sodass es kaum verwunderlich ist, dass sie von Beginn an Errungenschaften aus beiden Bereichen miteinander kombinierten. Als ein Ergebnis davon gibt es eine Mikrofotografie von Mottenflügeln zu bewundern, die der heimliche Erfinder der Fotografie, William Henry Fox Talbot, bereits um 1840 für sich und die Nachwelt festhielt. Nicht minder spektakulär die Querschnitte durch Pflanzenstängel, von Kieselalgen oder von den offensichtlichen Lieblingstieren der damaligen Zeit, Krätzmilben, Läusen und Flöhen. Die umgekehrte Linsenanordnung im fotografierenden Teleskop hatte zur Folge, dass sich nicht nur die Anzahl der sichtbaren Sterne vervielfachte, sondern dass man mit Hilfe der Spektralanalyse auch neue Erkenntnisse über die Struktur des Alls gewinnen konnte.

Geisterfotografien

Komplexe Bewegungsabläufe hielt Eadweard Muybridge in Serien von Einzelbildern fest, sein Kollege Étienne-Jules Marey bannte diese überlappend auf ein Bild. Öfters hinterließen nur mehr die auf den Körpern angebrachten Markierungen ihre Spuren auf der fotografischen Platte, woraus sich dann leicht abstrakte Linienführungen extrahieren ließen, die halfen, den Bewegungsablauf der Körper wissenschaftlich besser zu verstehen. Die enge Verbindung der Kunstform Fotografie mit naturwissenschaftlichen Ambitionen zeigt sich auch an den Versuchen, die Welt in Farbe auf lichtempfindliche Platten zu übertragen. Die Ergebnisse reichen vom Selbstporträt und dem bunten Papagei bis zum Sonnenspektrum. Ähnlich spektakulär Aufnahmen, die mithilfe von Röntgenstrahlen den Blick ins Innere von Menschen und Tieren freigaben. Neben den medizinischen, forensischen und überwachungstechnischen Möglichkeiten sahen die Menschen damals in den X-Strahlen-Bildern eine unmittelbare Vergegenwärtigung ihrer eigenen Sterblichkeit. Wie sehr damals für die meisten Leute diese neuen Formen des Durchblicks im wahrsten Sinn des Wortes die Tore in ein in keiner Weise einordenbares Terrain öffneten, zeigen die sogenannten Geisterfotografien. Tun wir diese heute leicht als Belichtungsfehler ab, waren sie in ihrer Entstehungszeit selbst für die Wissenschaft eine überbordende Herausforderung.

Fotografie und das Unsichtbare

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

bis 24. 5., täglich 10-18, Mi 10-21 Uhr

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