Der Hase vor dem Igel

Werbung
Werbung
Werbung

Die Hasen haben es meist nicht leicht. Gemäß einem alten Sprichwort sind viele Hunde des Hasen Tod, und auch die allgemein bekannte Fabel über den Wettlauf des Hasen mit dem Igel geht für Meister Langohr nicht gut aus: Wenn der Hase am Ziel anlangt, ist der Igel beziehungsweise seine von ihm kaum unterscheidbare Frau schon da, und sooft man das Rennen auch wiederholt, der arme Hase zieht bis zur völligen Erschöpfung immer den Kürzeren.

Im modernen Sport, der ja sehr professionell geregelt ist, sind solche Tricks kaum möglich, wohl aber ist üblich, dass sich Athleten gegen gute Bezahlung für den Erfolg anderer verausgaben und dabei in unterschiedlich bezeichnete Rollen schlüpfen. Sind es bei Radrennen die Wasserträger oder Domestiken, die für den Star der Mannschaft kurbeln, ihm Windschatten bieten, wenn es nötig ist, so hat bei Laufveranstaltungen der Schrittmacher oder Hase die Aufgabe, für ein hohes Anfangstempo zu sorgen, damit der Favorit, der sich an seine Fersen heftet, Kräfte sparen und dann mit neuem Rekord ins Ziel laufen kann.

So war es auch für den diesjährigen Wien-Marathon, bei dem am 21 . Mai alle Teilnehmer- und Streckenrekorde gebrochen wurden, geplant: Willy Cheruiyot aus Kenia sollte seinem bekannteren Landsmann Simon Bor etwa 33 Kilometer Schrittmacherdienste leisten und dann das Rennen beenden. Aber der Hase wuchs über sich hinaus, lief die 42,195 Kilometer durch und gab dem überraschten Bor im Ziel das Nachsehen.

Die Rollen im Leben sind eben nicht so endgültig verteilt, dass immer der gleiche am längeren Ast sitzt, gleichsam als Igel agiert, während der Hase in jedem Fall der Verlierer ist. Dass eine für die zweite Geige vorgesehene Person plötzlich die erste Geige übernimmt, kennt man auch aus der Kunst: Nicht nur einmal soll es da vorgekommen sein, dass sich ein junger Schauspieler zum Vorsprechen einen Bekannten mitgenommen hat und dann dieser "Stichwortbringer" das Engagement erhalten hat. Auch der Burgschauspieler Robert Lindner, als Anatol legendärer Partner der jüngst verstorbenen Paula Wessely in Schnitzlers "Weihnachtseinkäufen", soll so sein erstes großes Engagement erhalten haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung