„Der Nächste sein wollen“

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Im September wird Alois Hotschnig den Anton Wildgans-Preis erhalten. Sein jüngster Erzählband zeigt ihn als Meister, unaufgeregt verrückt er in feinen Erzählungen die Koordinaten der alltäglichen Welt.

In einem Porträt über den österreichischen Autor Alois Hotschnig heißt es einmal, dass seine Bücher dem Leser Aufmerksamkeit und Hingabe abverlangen. Dieses Urteil trifft wohl auch auf den jüngsten Erzählband zu. Denn wer sich ganz auf diese Texte einlässt, kann sensibel gemalte Sprachgemälde entdecken, denen eine schräge, ja schwebende Welt mit einer zum Teil fast surrealen Architektur eingeschrieben ist wie etwa gleich zu Beginn: Ein Hund wird plötzlich zum Untier, weil er zu beißen beginnt. Bald stellt sich aber heraus, dass seine Bisse Beschwerden heilen können.

Seine thematischen Netze hat Hotschnig diesmal jedoch vor allem über die Grammatik des Alterns gespannt. In sechs voneinander unabhängigen Episoden senkt er seinen Blick in das Bewusstsein von Menschen, deren Wahrnehmung sich verschoben hat oder denen sich im Alltag nur mehr kurze Kommunikationsfenster öffnen. Angehörige und Freunde sind die Brücken zur alten Welt.

Imaginierte Reisen

Eine Stimmungsskizze zeigt imaginierte Reisen zwischen den eintönigen „Spinat, Püree, Spiegelei und Salat“–Mahlzeiten in einem Heim, wo zwei Menschen, die selbst bereits das Essen auf Rädern in Anspruch nehmen, ihre Freunde besuchen, ihnen verbotenerweise Sardellen oder Lachscreme bringen und die streng strukturierte Gleichförmigkeit ihres Lebens durchbrechen: „Wir besuchen sie, das ist wahr. Aber es ist nicht mehr, was es war. Mit ihnen auf Reisen zu gehen oder sie zu besuchen ist nicht dasselbe … Jetzt reist nur noch du. Und du auch nur im Laden zwischen den Regalen.“

Kafka und Beckett

Öfters schon wurde Hotschnig eine Affinität zu Kafka und Beckett attestiert. Und sie drängt sich auch hier auf in seiner Erzählung „Ausziehen ja, anziehen auch“, in der er sehr authentisch das Cross-over der Gesprächsdialoge in einem Ordinationszimmer protokolliert: „Unter all den Leuten hier, sehen Sie sich um, wie Sie da die Stirn haben können und der Nächste sein wollen, ich verstehe Sie nicht … Viele Jahre könnte ich hier schon der Nächste sein. Aber aufgerufen werde ich doch nicht. Immer sieht es danach aus, dass man der Nächste sein könnte, und dann besteht die Welt doch nur aus Warten.“ Kafkas „Türhüterlegende“ scheint hier mitzuschwingen, wenn die Wartenden zur Blutabnahme hinter den Vorhang oder zur „Schlachtbank“ gerufen werden. Präzise und unterminiert mit feinem Humor, der oft ins Sarkastische umschlägt, filtert Hotschnig Patientengespräche, Telefonate und Anweisungen der Arzthelferin aus dem Kommunikationsfluss oder auch die paranoiden Ängste eines Mannes, der fürchtet, eine Jacke aufgedrängt zu bekommen. Unaufgeregt verrückt Hotschnig die Koordinaten der alltäglichen Welt und lässt sie kühn in Kurioses ausfransen.

Für die Menschen in diesen Erzählungen ist kein Ausbruch aus ihrem Dasein mehr möglich. Sie sind der Rhythmik ihres Lebens ausgeliefert: „Um drei, heißt es, Vater, um drei, und dann wieder um sieben. Es ist vier. Du darfst essen.“ Vielfach hat das Lebbare keine Visionen mehr, die Protagonisten stellen sich dem Stillstand. Hotschnig bringt das auf den Punkt: „Im Sitzen läuft es sich besser davon.“

Im Sitzen läuft es sich besser davon

Erzählungen von Alois Hotschnig

Kiepenheuer & Witsch 2009

140 S., geb., e 17,50

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