Der vielschichtige Spekulant

Werbung
Werbung
Werbung

Spekulanten waren und sind optimale Feindbilder. Sie verdienten ihr Geld häufig auf Kosten anderer. Doch ganz so eindimensional - getrieben von Gier und Verschwendung - war selbst das Leben großer Finanzjongleure nie.

Schnelle Gewinne, hohes Risiko, wenig Rücksicht auf andere bis hin zum Schritt ins Kriminal. Das sind die Zutaten einer Spekulantenkarriere - seit über 200 Jahren. Camillo Castiglioni zum Beispiel. 1879 in Triest geboren, wurde der italienisch-österreichische Industrielle zu einem der größten Spekulanten in der Zwischenkriegszeit. Ähnlich und doch etwas anders die Bankiers Siegmund Bosel zur selben Zeit oder Moritz von Fries rund 100 Jahre früher. Ihnen allen ist eines gemeinsam: Ihr durchaus verwerfliches Tun schloss ein Engagement für Wissenschaft, Kunst, Kultur und Soziales nicht aus. Frühe George Soros’ quasi, die neben dem großen Geschäft auf den Finanzmärkten auch wohltätige Zwecke förderten.

Der Fall Castigilioni

Doch zunächst stand die spekulative Tat im Vordergrund. Der Wirtschaftshistoriker Eduard März findet klare Worte zu Camillo Cas-tiglioni: Der Investor, Wohltäter und Finanzier der Flugzeug- und Autorindustrie habe als Finanzjongleur für "irreparable Schäden“ gesorgt. Castiglionis Geschäftsmodell war einfach: Er finanzierte mit Bankdarlehen seine Börsenspekulationen und profitierte danach von der Inflation. Er zahlte seine Schulden erst zurück, als die damalige Währung, die Krone, bereits entwertet war. Dazu kamen noch illegale Geschäftspraktiken: Cas-tiglioni machte als Präsident des Verwaltungsrats der Depositenbank Bankgewinne im Nachhinein zu seinen eigenen, indem er Dokumente fälschte und Geld in die Schweiz verschob. Trotzdem meint der Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel, der dem Fall Castigioni ein Buch gewidmet hat, (sie-he Kasten) dass ein solches Vorgehen gar nicht untypisch für die Zeit und Spekulanten überhaupt sei: "Jede Entscheidung, die die Zukunft betrifft, ist eine Spekulation. Sie kann Sinn haben. Oft aber wird auf Kosten der Realwirtschaft an der Grenze des Kriminellen spekuliert.“

Castiglioni, von seinen Zeitgenossen kurz CC genannt, hat diese Grenze eindeutig überschritten, durchaus in Allianz mit anderen seiner Zeit: Er hatte Politiker und Journalisten auf seiner Lohnliste. Dem Banken- folgte ein Justizskandal: Er wurde weder strafrechtlich belangt, noch bezahlte er vollen Schadenersatz.

Mäzene und Modernisierer

Trotzdem wäre es für Wirtschaftshistoriker Andreas Resch zu einfach, nur den Schaden des Spekulanten Castiglioni zu betrachten: "Spekulationen haben positive und negative Seiten, das zeigt gerade sein Tun.“ Er habe die Marke BMW erst zu einer gemacht, maßgeblich am Fortschritt mitgewirkt und zum Beispiel bei seiner Firmenbeteiligung bei der Austro-Daimler den Entwicklungsleiter Ferdinand Porsche davor bewahrt, nur auf Luxusmodelle zu setzen, deren alleiniger Verkauf die Gewinne der Firma wohl geschmälert hätten. CCs Tun hatte zum Teil also auch realwirtschaftlichen Nutzen.

Dazu kommt sein Engagement als Förderer von Wissenschaft, Kunst und Kultur. Zwar hob er seine "Rolle als Wohltäter“ laut Stiefel ganz unbescheiden "bei jeder Gelegenheit hervor“. Seine Worte fußten aber durchaus auf Taten: Castiglioni baute nicht nur das Palais Miller-Aichholz in Wien, lud Künstler in seine Villa am Grundlsee ein und sammelte Gemälde von Tintoretto, Tizian und Rembrandt. Er spendete auch für Forschungsinstitute der Universität Wien und gab dem Unterrichtsministerium Geld für ein Barockmuseum oder für den Ausbau der Akademie der Musik und darstellenden Künste zur Hochschule. Dazu kam die finanzielle Förderung der Salzburger Festspiele, und er ermöglichte Max Reinhardt den Umbau des Theaters in der Josefstadt.

Während im Neuen Wiener Journal 1923 deshalb vom "großzügigen Mäzen“ zu lesen war, der "Reinhardt die Möglichkeit“ gebe "in Wien seine Kunst zu zeigen“, blieb er bei anderen der "Kunstschmock“, der es nötig habe, "seinen als Geschäftsmann arg beschädigten Ruf auf dem Umweg über ein Kunstmäzenatentum“ wieder herzustellen.

Fries, der Verschwender

Castiglionis Leben gleicht in vielem jenem des Bankiers, der Ferdinand Raimund als Vorbild für sein Bühnenstück "Der Verschwender“ diente: Moritz Christian Johann Reichsgraf von Fries lebte von 1777 bis 1826. Wie CC sammelte er Kunst, nannte mehr als 300 Meisterwerke, darunter Raphael, Dürer und van Dyck, sein eigen. Auch Kulturschaffende seiner Zeit profitierten vom reichen Gönner. Fries unterstützte die Komponisten Franz Schubert und Ludwig von Beethoven.

Letzterer bedankte sich, indem er Fries mehrere Sonaten widmete. Dazu kam noch der Umbau des Vöslauer Schlosses, das nun als Ensemble frühklassizistischer Kunst gilt. Um 1800 war Fries wohl der reichste Mann der Monarchie. Trotzdem gelang es ihm, sein Vermögen zu verspekulieren: Zum aufwendigen Lebensstil und zur Geldentwertung nach den Napoleonischen Kriegen kamen Fehlentscheidungen Fries’. Er wurde aus seiner eigenen Bank gefeuert, die ging trotzdem in Konkurs - wobei der Historiker Resch einräumt: "Castiglioni hat mehr zu seinen eigenen Verlusten beigetragen als dieser Verschwender.“

Ähnlich und doch anders Cas-tiglionis jüngerer Zeitgenosse Siegmund Bosel. Für den Historiker Fritz Weber ist er ein Beispiel für den spektakulären Aufstieg zum Neureichen, in einer Zeit, in der "die Grenzen zwischen normalen Geschäften und Spekulationsgeschäften zu verschwimmen begannen“. Der 1893 geborene Bosel war Heereslieferant, sicherte sich nach dem Krieg unter anderem die Aktienmehrheit in der Union-Bank. Darüber hinaus wurde die Postsparkasse unter seinem Zutun zum größten Börsenspekulanten Österreichs. Mit den Einbrüchen auf den Aktienmärkten fuhren sowohl die Bank als auch Bosel selbst große Verluste ein. Anders als Castiglioni wurde er 1937 wegen Betrugs verurteilt und kam in Haft. Bosel wurde als 49-Jähriger bei der Deportation ins KZ in Riga ermordet.

Unheimliche Bescheidenheit

Wie bei CC hatten auch bei Bosel andere etwas von seinem Reichtum, er engagierte sich im sozialen Bereich: "Als der Universität im Winter die Kohlen ausgingen, sanierte er das Gebäude. Und als die Wiener Polizei welche brauchte, hat er ihr die Uniformen spendiert“, erzählt Historiker Stiefel. In der Zeitschrift Die Börse wird Bosel als "still, zäh und von einer unheimlichen Bescheidenheit“ beschrieben - Kunstmäzen war er keiner. Außerdem war er im Unterschied zu Castiglioni beliebt, schließlich hatte er einen von dessen spekulativen Angriffen auf die Unionbank abgewehrt: "Ganz Österreich klatschte dem Sieger Bosel Beifall“, hieß es im Deutschen Wirtschaftsführer von 1925 etwa. Castiglioni galt seinen Zeitgenossen als Napoleon, Bosel dagegen als Wunderkind, das mit Geld umzugehen wusste. Nur kurz danach wurden beide dafür missbraucht, antisemitische Verschwörungstheorien zu untermauern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung