Die Tugend der Antwortlichkeit

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Als wir vor einigen Jahren - bei mir sind es mittlerweile sechs - die Aufgabe übernahmen, als "interreligiöses Quartett“ reihum Kolumnen für die FURCHE zu verfassen, bekamen Mouhanad Khorchide, Walter Homolka, Rainer Bucher und ich von der Redaktion eine Vorgabe: Wir sollten uns aufeinander beziehen, und zwar nach einem bestimmten Schema: Jeweils einer der Herren oder ich sollte ein Thema setzen, das dann von den drei anderen in den folgenden Nummern kommentiert und schließlich von der Initiantin "abgeschlossen“ wurde. Dann kam das nächste Thema dran, und so weiter.

Vor einiger Zeit hat man uns dereguliert. Wir schreiben jetzt unsere "Glaubensfragen“ unabhängig voneinander. Ja, das hat bestimmt Vorteile: Ich stelle es mir schwierig vor, als Leserin oder Leser über einen Zeitraum von fünf Wochen den Überblick zu behalten: Worum ging es nochmal? Wer hat welches Thema angerissen? Soll man jetzt anfangen, mit dem altmodischen Instrument der Schere zu hantieren, um Reihen von "Zeitungsausschnitten“, wie man es früher nannte, per Minimagnet an die Kühlschranktür heften zu können?

Unabhängigkeit hat praktische Vorteile. Aber ich vermisse trotzdem etwas, seit wir einander nicht mehr antworten. Zwar lese ich weiterhin mit Interesse, was die Kollegen aus Münster, Berlin und Graz schreiben. Aber jetzt habe ich das Gefühl, die Leserinnen und Leser über Gebühr zu strapazieren, wenn ich zuweilen - freiwillig - die Tugend pflege, die im Deutschen noch keinen Namen hat. Im Englischen gibt es sie, die "Responsiveness“. Wörtlich ins Deutsche übersetzt wäre das die "Antwortlichkeit“. Ein schönes Wort. Wir könnten es in die Welt setzen und uns in der neu benannten Tugend üben. Wer wäre noch dafür?

Die Autorin ist Schriftstellerin und evangelische Theologin in der Schweiz

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