Die Wogen des Irrsinns

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Perfekt, aber inhaltslos: Andrea Breth inszeniert Edward Bonds "See" am Akademietheater.

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Perfekt, aber inhaltslos: Andrea Breth inszeniert Edward Bonds "See" am Akademietheater.

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Edward Bond, dessen Stücke ihm in den sechziger und siebziger Jahren den Ruf eines Brecht-Epigonen eingebracht haben, hat sich den Glauben an die Veränderbarkeit der Welt durch das Theater erhalten. Spannend wäre es danach zu fragen, was ein Stück wie die 1973 uraufgeführte Komödie "Die See", heute noch an Aktualität gewinnen kann. Andrea Breths Inszenierung am Wiener Akademietheater gibt allerdings keine Antwort. Der Regisseurin lag mehr an artifizieller Perfektion als an inhaltlichen Aussagen. Bonds Stück, an dessen Tendenz in einzelne Bruchstücke zu zerfallen sich schon Regisseure wie Claus Peymann die Zähne ausgebissen haben, gerät unter ihren Händen zu einem kompakten Farbenspiel, das sich stimmig zu einem Ganzen fügt.

"Die See" spielt um 1907 in einer englischen Kleinstadt an der Ostküste. Ein Segelboot kentert. Ein junger Mann, Willy Carson kann sich ans Ufer retten. Sein Freund ertrinkt. Die Küstenwache schaut tatenlos zu, weil ihr Leiter, der Tuchhändler Hatch in dem Wahn lebt, dass England von einer Invasion Außerirdischer bedroht sei. Im Ort eskaliert eine an sich schon gespannte Lage. Unter der Komödien-Idylle brodeln verschiedene Spielarten von Gewalt. Angefangen von einer harmlosen Tyrannei bei einer Theaterprobe bis zu seelischen Verletzungen, ausgeübt von der reichen und despotischen Mrs. Rafi. Der zunehmend dem Wahnsinn anheimfallende Hatch hat eine Schar Unterprivilegierte um sich geschart. Alle sind sie bereit mit ihm das Land gegen die Außerirdischen zu verteidigen.

Die Brutalität in Bonds Stück könnte offensichtlich inszeniert werden. Andrea Breth hat sich für die feinere Variante entschieden.

Eindruckvoll eröffnet das Bild einer tosenden See mit Blitzgewitter und durchschimmernder naher Mole. Kaltes Licht zeigt ein Bühnenbild (Annette Murschetz), das sehr funktional Innenräume mit Strandoptik vereint. Schauspielerjuwelen finden sich im Ensemble. Elisabeth Orth zeichnet mit der exzentrischen Kleinstadttyrannin Mrs. Rafi eine beinahe sympathische Gestalt, einen rauhen, aus Einsamkeit böse gewordenen weiblichen Haudegen, eitel, selbstverliebt und eine selbstironische Sadistin aus Vergnügen. Köstlich ist auch die Damenschar (unter anderen Sabine Haupt, Andrea Clausen, Lipgart Schwarz) die um sie herumwieselt, Töchter viktorianischer Erziehung, zimperlich und stets am Rande von Hysterie und Ohnmachten. Vor allem die Begräbnisszene am Ende, in der sich die Trauernden um den hilflos betulichen Pfarrer (Johannes Terne) sammeln, gerät zum Paradebeispiel trockenen englischen Humors. Eine minutiöse Studie wachsenden Irrsinns bietet Wolfgang Michaels Hatch. Führerambitionen versucht dieser bei seinen Freunden, einem dumpfen Rudel Under-Dogs (unter anderen Hans Dieter Knebel und Benno Ifland) auszuleben, sein Sturz endet im Irrenhaus. Mitleid hat nur der geistig zurückgebliebene Billy (Cornelius Obonya).

Andrea Breth hat eine gediegene Inszenierung abgeliefert. Momente in denen sich irrationale Ängste der Kleinstadtbewohner vor allem Fremden spiegeln, lassen aktuelle Brisanz ahnen. Doch solchen Bezügen schenkt die Regisseurin wenig Be-achtung. Ein gewiss farbiges Stück Theatergeschichte wurde auf die Bühne gestellt, die Frage ob es uns heute noch etwas zu sagen hat, dabei übergangen.

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