Ein Geheimnisumwitterter

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Der Welterfolg des kürzlich verstorbenen Carlos Castaneda weist auf ein Manko unserer rationalen Denkweise hin .

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Der Welterfolg des kürzlich verstorbenen Carlos Castaneda weist auf ein Manko unserer rationalen Denkweise hin .

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Carlos Castaneda starb kurz nach Erscheinen der deutschen Ausgabe seines jüngsten Buches "Tensegrity - Die magischen Bewegungen der Zauberer". Die Bücher des Anthropologen waren weltweite Bestseller und wurden viel diskutiert. Castanedas Geschichten von seiner Zeit als Zauberlehrling bei Don Juan Matus, einem alten Yaqui-Indianer, klingen so phantastisch, daß sie immer noch die Ethnologen und Anthropologen polarisieren und trugen ihm den Ruf eines geschickten Schriftstellers und notorischen Lügners ein.

Er bezieht das Subjekt in seine anthropologischen Studien mit ein, was in den späten Sechzigern, als sein erstes Buch erschien, unter Ethnologen noch ein umstrittener Ansatz war. Er beschreibt möglichst sachlich seine Gefühle nach der Einnahme psychotroper Pflanzen und seine Reaktionen auf die Lehren Don Juans. Indem er seine Erfahrungen samt den sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen als Wissenschaft bezeichnete, traf er nicht nur die Gelehrten an einem wunden Punkt.

Während der Leser, wie Castaneda selbst, in den ersten zwei Büchern die Möglichkeit hat, schier unglaubliche Erlebnisse - die Gesetze der Schwerkraft werden aufgehoben, körperliche Kräfte steigern sich enorm, Träume werden zum realen Wirkungsfeld - auf den Einfluß von Drogen zurückzuführen, relativiert der Autor diese stillschweigende Annahme in seinem dritten Band.

Er erkennt, daß sein Lehrer die Drogen als Hilfsmittel benutzt, um die Weltsicht seines Lehrlings, der beharrlich an unserer alltäglichen Wahrnehmung als Wirklichkeit festhält, zu zerstören und durch eine magische Weltbeschreibung zu ersetzen, ohne daß dieser wahnsinnig wird. Der Verstand tritt bei Castaneda nicht als Werkzeug der Ideologiekritik auf, um die Glaubwürdigkeit der Wahrnehmung zu hinterfragen, sondern schafft den Kontext für als Realität empfundene Wahrheit. Dadurch untergräbt er unseren westlich-rationalistischen Denk- und Lebenskontext, und die empörte Kritik wird verständlich. Dennoch weist die große Zahl seiner Anhänger auf ein Manko unserer rationalen Denkweise hin, dessen Auswirkung sich auch in der sinkenden Religiosität in unseren Breiten zeigt.

Castaneda ist aber nicht nur ein schwer zu widerlegender Autor, sondern auch ein geschickter Selbstvermarkter. Über Jahrzehnte hielt er seinen Aufenthaltsort geheim und gab nur einer Journalistin Interviews. Über seinen Lebenslauf ist wenig bekannt. Er wurde in Brasilien geboren, verbrachte den größten Teil seiner Jugend in Argentinien und ging dann in die USA. Im Sommer 1960 lernte er, damals Student der Anthropologie an der University of California in Los Angeles, auf der Suche nach Kenntnissen über Heilpflanzen einen alten Yaqui-Indianer kennen, der angeblich über großes Wissen auf diesem Gebiet verfügte. Dieser zeigte sich jedoch nicht gewillt, ihm Auskünfte zu erteilen. Erst als er sich bereit erklärte, bei ihm in die Lehre zu gehen, willigte Don Juan Matus ein. 1968 erschien Castanedas Dissertation als Buch: "Die Lehren des Don Juan - ein Yaqui-Weg des Wissens".

In den folgenden 25 Jahren erschienen weitere acht Bücher über Castanedas Weg als Zauberlehrling. Auch für seine Öffentlichkeitsscheu gibt es natürlich eine in seiner Geschichte verankerte Erklärung. Die Lösung aus sozialen Bindungen sei nämlich, so sein Lehrer, wesentlicher Bestandteil der Ausbildung.

Auch Schreiben und Veröffentlichen ist laut Castaneda eine magische Übung, die ihm sein Lehrer aufgibt. Er träume den Text, bevor er ihn aufschreibe und müsse dadurch seine Manuskripte nie überarbeiten. Geschickt entkräftet er damit die Kritik jener, die es mit Laotse halten: "Ein Wissender redet nicht, ein Redender weiß nicht."

Gegen das Argument, seine Weisheiten seien aus allen Erdteilen zusammengestohlen, ist einzuwenden, daß die weltweite Übereinstimmung magischer Erfahrungen ethnologisch längst bekannt ist. Was Castaneda zugute kommt, ist, daß er sich selbst als manchmal fast begriffstützig erscheinenden ewigen Zweifler beschreibt.

Wendet man dies auf sein eigenes Werk an, muß man aber zwangsläufig seine Geschichten in Frage stellen. Alles erscheint zu schlüssig, es scheint immer eine akzeptable Erklärung zu geben, vor allem aber liegt Castaneda immer voll im esoterischen Trend. Die ersten Bücher sind von der Lehrer-Schüler-Beziehung geprägt, wo geheimes Wissen und dessen strenge Regeln mitgeteilt werden. Sie mutiert, dem Zeitgeist folgend, zu einer scheinbar jedem zugänglichen magischen Reise.

So ist es auch weiter nicht verwunderlich, daß nun ein Buch mit den leicht abgewandelten geheimen Körperübungen, auf die der alte Indianer solchen Wert legte, erschien: "Tensegrity - Die magischen Bewegungen der Zauberer". Sie wirken wie ein Sammelsurium östlicher und westlicher Körperarbeit. Tensegrity, wie Castaneda seine Bewegungsschule nennt, wird mit ihrem Wust von Übungen und trotz vielen Abbildungen wohl eingefleischten Fans vorbehalten bleiben. Natürlich beugt Castaneda Kritik vor. Laut Don Juan sei es nur wichtig, die Übungen zu machen, die Wirkung stelle sich ganz alleine ein. Dennoch bereichert die Castaneda-Lektüre, ganz abgesehen von der Frage der Authentizität, auch rationale Menschen.

TENSEGRITY Die magischen Bewegungen der Zauberer Von Carlos Castaneda Verlag S. Fischer, Frankfurt/M. 1998 220 Seiten. Pb., öS 248,

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