Ein Märtyrer des 20. Jahrhunderts

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Frühjahrsbeginn 1945: längst hat der Krieg deutschen Boden erreicht, alliierte Truppen und die Rote Armee sind bereits weit ins Landesinnere vorgerückt. Viele deutsche Städte liegen nach Beschuss und Bombenhagel in Schutt und Asche. Die militärische Lage der deutschen Wehrmacht ist aussichtslos.

So auch in der ehemaligen Residenzstadt Gotha in Thüringen. Am 30. März werden die Kampftruppen mit allen schweren Waffen aus der Stadt abgezogen und nach Westen verlegt. Der verbliebene "Kampfkommandant“ Oberstleutnant Josef Ritter von Gadolla und mit ihm wenige Soldaten sowie Mitglieder des "Volkssturms“ sind zuvor "zur bedingungslosen Verteidigung des ihnen anvertrauten Standorts bis zum Tode“ verpflichtet worden. Grundlage dieser Verpflichtung ist der so genannte "Nero-Befehl“ Hitlers, dessen Zerstörungswahn sich nun gegen das eigene Volk richtet.

Gadolla, ein tiefgläubiger Katholik, widersetzt sich diesem Befehl und ist entschlossen, das Leben der zahlreichen Zivilisten und Flüchtlinge, die sich in der Stadt aufhalten, nicht sinnlos zu gefährden. Doch diese Gewissensentscheidung für das Leben und gegen den militärischen Eid wird als Verrat verstanden.

Weiße Fahnen gehisst

Als am 3. April amerikanische Truppen vor Gotha stehen, lässt Gadolla auf öffentlichen Gebäuden weiße Fahnen hissen und fährt den Amerikanern als Unterhändler entgegen. Zunächst wird er von einer versprengten SS-Einheit abgefangen, bleibt aber unbehelligt. Bei seinem zweiten, noch am selben Tag unternommenen Versuch hat er weniger Glück und wird von Mitgliedern eines deutschen Flak-Bataillons festgenommen. Ein Standgericht der Wehrmacht in Weimar verurteilt Gadolla am 4. April zum Tod, in den frühen Morgenstunden des 5. April wird das Urteil vollstreckt.

Über die letzte Nacht Gadollas und seinen Weg zur Erschießung gibt es den Bericht eines Priesters, der ihn in diesen Stunden begleitete. Er hat auch die letzten Worte Gadollas überliefert: "… damit Gotha leben kann, muss ich sterben.“ Bereits einen Tag zuvor, am 4. April 1945, sind amerikanische Soldaten kampflos in Gotha einmarschiert. Der hohe Einsatz Gadollas war nicht umsonst gewesen.

Erst 1997, 52 Jahre nach seinem Tod, wird das Unrechtsurteil des Standgerichts aufgehoben und Gadolla voll rehabilitiert. Sein Fall ist ein starkes Argument für den Erlass eines bundeseinheitlichen NS-Aufhebungsgesetzes, das am 26. August 1998 in Kraft tritt.

2012 wird Josef Ritter von Gadolla durch die Aufnahme in das Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts offiziell als katholischer Märtyrer anerkannt - als erster in der Steiermark geborener und hier lebender Katholik. Auf Initiative der Katholischer Medien Verein Privatstiftung wird der "Retter von Gotha“ nun in seiner Taufpfarre Graz-Münzgraben mit einem Denkmal gewürdigt. Am 5. April, dem 68. Todestag Gadollas, nimmt der Apostolische Nuntius in Österreich, Erzbischof Peter Stephan Zurbriggen, die feierliche Segnung vor.

* Der Autor ist Historiker und Mitarbeiter der Styria Media Group |

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